Volle Inflationsausgleichsprämie während der Elternzeit
Seit Dezember 2023 arbeitete die Mitarbeiterin während der Elternzeit in Teilzeit mit einem Stundenumfang von 24 Wochenstunden. Eine Vollzeittätigkeit entspräche 39 Wochenstunden. Für die Monate Januar und Februar 2024 zahlte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin als Inflationsausgleich jeweils 135,38 EUR. Die Mitarbeiterin war der Ansicht, der TV Inflationsausgleich verstoße, soweit er Beschäftigte in Elternzeit von dem Bezug der Sonderzahlung Inflationsausgleich ausschließe, gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot und begründe zudem eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts i.S.d. § 1 AGG. Seine Entgeltbezugsregelung stelle eine mittelbare Diskriminierung dar, da Mütter im Allgemeinen länger in Elternzeit gingen als Väter.
Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Zahlung des tariflichen Inflationsausgleichs während der Elternzeit und Entschädigung weitestgehend stattgegeben. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 64 Abs. 3 Ziff. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) die Berufung zugelassen.
Die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Elternzeit befindliche Mitarbeiterin konnte verlangen, so gestellt zu werden, als zähle sie zum Kreis der Begünstigten. Verstößt ein Tarifvertrag insoweit gegen höherrangiges Recht, als er in gesetzes- bzw. verfassungswidriger Weise Personengruppen von einer Leistung ausschließt, so ist nicht die gesamte begünstigende Regelung unwirksam, sondern nur die Ausschlussklausel. Die leistungsgewährenden Tarifvertragsbestimmungen sind in diesem Fall auf diejenigen Personen zu erstrecken, die rechtswidrig ausgeschlossen wurden (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.09.2003, Az. 10 AZR 675/02). Hier lag – jedenfalls – ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vor.
Die den Tarifvertragsparteien bei der Festlegung situationsgebundener Zulagen zukommende Einschätzungsprärogative ist erst dann überschritten, wenn das Willkürverbot als äußerste Grenze der Tarifautonomie verletzt ist. Das ist der Fall, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für eine Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Bei der Willkürkontrolle ist nicht ausschlaggebend, ob die maßgeblichen Gründe im Tariftext Niederschlag gefunden haben oder diesem zumindest im Wege der Auslegung zu entnehmen sind. Maßgeblich ist nicht eine etwaige subjektive Willkür des Normgebers. Erforderlich ist vielmehr die objektive Unangemessenheit der Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll, und damit objektive Willkür (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20.07.2023, Az. 6 AZR 256/22).
Zwar ist es zulässig, Arbeitnehmer in Elternzeit von bestimmten Leistungen auszunehmen. Jedoch muss im konkreten Fall die Differenzierung zwischen dem Kreis der Anspruchsberechtigten und demjenigen der Nichtberechtigten sachlich nachvollziehbar sein. Dies war hier nicht der Fall. Die Leistungen nach dem TV Inflationsausgleich stellten keine Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung dar. Es mag sein, dass dadurch die Möglichkeit einer steuer- und sozialabgabenfreien Sonderprämie genutzt werden sollte. Dies änderte jedoch nichts daran, dass die Tarifvertragsparteien sich darauf verständigt hatten, Sonderzahlungen zu tätigen, deren Höhe nicht von der jeweiligen Entgeltgruppe abhing und für die nicht die Erbringung von Arbeitsleistung Voraussetzung war.
Allein die Schlagworte „ruhendes Arbeitsverhältnis“ und „Leistungsstörung“ sind nicht ausreichend, um einen sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund zu bilden. Vielmehr war zu prüfen, worin die inhaltlichen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede konkret bestanden. Während der längerfristig erkrankte Arbeitnehmer und derjenige, dessen Kind erkrankt ist, Krankengeld von seiner Krankenkasse beziehen, bezieht ein Arbeitnehmer in Elternzeit typischerweise Elterngeld von der öffentlichen Hand. Alle drei Gruppen sind in gleicher Weise von gestiegenen Lebenshaltungskosten betroffen.
Allerdings stand der Klägerin kein Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG zu. Grobe Fahrlässigkeit bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen ist dann anzunehmen, wenn sich der diskriminierende Charakter der Regelung aufdrängt. Dies war vorliegend nicht der Fall. Vielmehr handelte es sich um eine schwierige Rechtsfrage. Die Frage, ob die Tarifvertragsparteien beim Kreis der Anspruchsberechtigten einer Sozialleistung wie der Inflationsausgleichsprämie die streitgegenständliche Differenzierung vornehmen dürfen, ist nicht ausreichend höchstrichterlich geklärt und betrifft eine Vielzahl von Arbeitnehmern.