Rechtsanwalt Dr. von Harbou

Vertrauen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Geben Sie mir die Gelegenheit, Sie von mir und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Gerne vereinbare ich mit Ihnen einen ersten Termin, in dem wir Ihr Anliegen besprechen und ich Sie anschließend über die rechtlichen Möglichkeiten, Erfolgsaussichten, Risiken und Kosten informiere.

Geschäftszeiten

Montag - Freitag 09:00 -18:00 Uhr
Samstag - Sonntag Geschlossen

Aktueller Rechtsblog

Top
Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns bei einem Aufhebungsvertrag

Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns bei einem Aufhebungsvertrag

In besonderen Fallkonstellationen kann der Arbeitgeber gehalten sein, dem Arbeitnehmer nach der Vorlage eines Aufhebungsvertrages eine Bedenkzeit einzuräumen, um nicht gegen das Gebot des fairen Verhandelns zu verstoßen. Mit der Einräumung einer solchen Bedenkzeit korreliert auch eine entsprechende Hinweispflicht des Arbeitgebers. Dies gilt insbesondere bei erkennbaren intellektuellen Schwächen des Arbeitnehmers.

Gestritten wurde über die Rechtswirksamkeit eines am 18.02.2022 geschlossenen Aufhebungsvertrages, welcher das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis zum 31.05.2022 beenden sollte.

Der Intelligenzquotient des Mitarbeiters ist weit unterdurchschnittlich. Er besuchte lediglich eine Sonderschule; eine Ausbildung konnte er nicht abschließen. Bei einem Personalgespräch am 18.02.2022 wurde dem Mitarbeiter neben einem Aufhebungsvertrag gleichzeitig eine Abmahnung ausgehändigt. Diese betraf zwei Tage im Januar, an denen der Mitarbeiter nicht zur Arbeit erschienen sein soll. Der Mitarbeiter unterzeichnete des Aufhebungsvertrag. Später vertrat er die Ansicht, die Arbeitgeberin habe bei Abschluss des Aufhebungsvertrags seine mangelnden intellektuellen Fähigkeiten willentlich und wissentlich ausgenutzt. Er sei davon ausgegangen, dass man ihn wegen des Fehlens an den zwei Tagen im Januar abmahnen wollte und man ihm gleichzeitig eine Kündigung ausgehändigt habe. Mit dieser Vorgehensweise habe die Arbeitgeberin gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen.

Das Arbeitsgericht gab der Klage des Mitarbeiters auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses des Mitarbeiters über den 31.05.2022 hinaus statt. Die Berufung wurde gesondert zugelassen.

Das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis ist durch den Aufhebungsvertrag vom 18.02.2022 nicht beendet worden. Vorliegend lag ein schuldhafter Verstoß der Arbeitgeberin gegen das Gebot des fairen Verhandelns vor, was zu einer Rechtsunwirksamkeit des Aufhebungsvertrages und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsvertrages zu unveränderten Bedingungen führt. Das Zustandekommen des Aufhebungsvertrages vom 18.02.2022 verstößt gegen das vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entwickelte Gebot des fairen Verhandelns, welches in den §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der Gestalt einer bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen bestehenden Nebenpflicht seine gesetzliche Normierung gefunden hat (vgl. BAG, Urt. v. 07.02.2019, Az. 6 AZR 75/18). Die Arbeitgeberin hatte vorliegend die intellektuelle Schwäche des Mitarbeiters ausgenutzt, um zum Abschluss des Aufhebungsvertrages zu gelangen. Dabei war nicht entscheidungserheblich, ob der Mitarbeiter in der Lage gewesen ist, den Sinn der streitgegenständlichen Aufhebungsvereinbarung zu erfassen. Die den Abschluss des Aufhebungsvertrags begleitenden Umstände, die Sozialdaten des Mitarbeiters und seine Konstitution führen vielmehr dazu, dass die Arbeitgeberin in der vorliegenden Konstellation den Mitarbeiter zumindest hätte darauf hinweisen müssen, dass er berechtigt ist, den Abschluss des Aufhebungsvertrages außerhalb der Räumlichkeiten der Arbeitgeberin für eine gewisse Zeit nochmals zu überdenken. Dies hätte dem Mitarbeiter auch die Möglichkeit eröffnet, ihm nahestehende Außenstehende bzgl. des Entwurfs und seiner Unterzeichnung um Hilfe zu bitten.

Des Weiteren berücksichtigte das Gericht auch die Begleitumstände des Zustandekommens des streitgegenständlichen Aufhebungsvertrags. In besonderem Maße wirkt sich dabei für die Arbeitgeberin negativ aus, dass dem Mitarbeiter zusammen mit dem bereits unterschriebenen Aufhebungsvertrag eine Abmahnung übergeben wurde, deren Empfang der Mitarbeiter durch seine Unterschrift bestätigte. Dabei betrifft die Abmahnung Vorfälle, bzgl. derer die Arbeitgeberin zuvor signalisiert hatte, dass sie diese nicht mehr für kündigungsrechtlich relevant hält. Es ist also kein Grund erkennbar, warum sie dem Mitarbeiter den Aufhebungsvertrag gemeinsam mit der Abmahnung ausgehändigt hat, außer dem, dass die Arbeitgeberin unter bewusstem Ausnutzen der fehlenden intellektuellen Fähigkeiten des Mitarbeiters den Abschluss des Aufhebungsvertrags forcieren wollte. Dabei kann dahinstehen, ob die Schwelle des § 123 Abs. 1 BGB vorliegend durch das Verhalten der Arbeitgeberin bereits überschritten worden ist, da die Arbeitgeberin zumindest gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstoßen hat.

Unter Berücksichtigung der vorherigen Gesichtspunkte und der langen Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters hätte die Arbeitgeberin den Mitarbeiter auf eine gewisse Bedenkzeit hinweisen müssen, um das Gebot des fairen Verhandelns zu wahren. Durch das Unterlassen drängte sich für das Gericht die Vermutung auf, dass die Arbeitgeberin die intellektuelle Schwäche des Mitarbeiters bewusst ausnutzte, um den Abschluss des Aufhebungsvertrages zu erreichen. Dies führte vorliegend zu einer schuldhaften Verletzung des Gebots des fairen Verhandelns.

Der Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns führte vorliegend zu einer Rechtsunwirksamkeit des Aufhebungsvertrages und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsvertrages zu unveränderten Bedingungen.

Die gesonderte Zulassung der Berufung folgte aus § 64 Abs. 3 Nr. 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG=. Die Rechtssache hat grundsätzlich Bedeutung, da es sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt. Das Gericht ist mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des BAG (BAG, Urt. v. 24.02.2022, Az. 6 AZR 333/21; BAG, Urt. v. 07.02.2019, Az. 6 AZR 75/18) bzgl. des Gebots des fairen Verhandelns dahingehend abgewichen, dass es für notwendig ansieht, in Ausnahmefällen dem Mitarbeiter eine gewisse Bedenkzeit, verbunden mit einem Hinweis darauf, einzuräumen.

Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 18.05.2022

Aktenzeichen: 2 Ca 60/22