Verfall von Urlaubsansprüchen
Am 02.07.2019 übersandte der Mitarbeiter der Arbeitgeberin den Rentenbescheid und wies auf die in dessen Folge eingetretene Beendigung des Arbeitsverhältnisses hin. Außerdem bat er um Abgeltung des zustehenden Urlaubs. Der Urlaub werde innerhalb der gesetzlichen Verjährung von drei Jahren und damit für die Jahre 2016 bis 2019 geltend gemacht. Am 31.07.2019 bestätigte die Arbeitgeberin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2019. Mit Abrechnung für August 2019 zahlte sie Urlaubsabgeltung für je 20 Tage gesetzlichen Mindesturlaub für 2018 und 2019 sowie für je fünf Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen.
Der Mitarbeiter klagte daraufhin auf Zahlung von Urlaubsabgeltung seit 2006 und zwar für je 35 Urlaubstage für die Jahre bis 2017 (20 Tage gesetzlicher Urlaub, fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, 10 Tage tariflicher Mehrurlaub) sowie zehn Tage tariflichen Mehrurlaub für 2018. Er war der Ansicht, infolge der seitens der Arbeitgeberin unterbliebenen Mitwirkung an der Urlaubsverwirklichung in Gestalt der gebotenen Belehrung über Bestehen und drohenden Verfall von Urlaubsansprüchen sei ein Verfall des Urlaubs nicht eingetreten. Vielmehr seien die Ansprüche seit 2006 jeweils in das Folgejahr übertragen worden und hätten sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Zahlungsansprüche verwandelt.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung bestätigt.
Die Frage nach den vorliegend zu beurteilenden Auswirkungen eines Zusammentreffens von Versäumung der Mitwirkungspflicht und langfristig fortbestehender Arbeitsunfähigkeit ist durch die in dem vorliegenden Verfahren abgewartete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und die in der Folge ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geklärt. Danach kann die zeitliche Beschränkung eines Urlaubsanspruchs nicht auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub angewandt werden, der im Lauf eines Bezugszeitraums erworben wurde, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder arbeitsunfähig wurde, ohne dass geprüft wurde, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch geltend zu machen (EuGH, Urt. v. 22.09.2022, Az. C-518/20 und C-727/20, Fraport).
War dagegen der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig bzw. voll erwerbsgemindert, verfällt der Urlaubsanspruch weiterhin nach Ablauf der 15-Monatsfrist unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 20.12.2022, Az. 9 AZR 401/19). Dies ist darin begründet, dass in dem zuletzt genannten Fall nicht Handlungen oder Unterlassungen des Arbeitgebers, sondern allein die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers für den Verfall des Urlaubs kausal ist. Eine Urlaubsnahme durch den Arbeitnehmer scheidet aus, weil er bereits wegen Unmöglichkeit, die Arbeitsleistung zu erbringen, von der Arbeitsleistung befreit ist. In Anwendung dieser Grundsätze waren vorliegend die Urlaubsansprüche des Mitarbeiters für 2007 bis 2017 vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.06.2019 verfallen.
Abgeltung für Urlaubsansprüche aus 2006 konnte der Mitarbeiter ebenfalls nicht beanspruchen. Der Arbeitgeber, der sich auf das Erlöschen der Urlaubsansprüche mit Ende von Urlaubsjahr und Übertragungszeitraum beruft, ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankt oder erwerbsgemindert war und deshalb die Versäumung der arbeitgeberseitigen Mitwirkungspflicht bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs das Erlöschen von Urlaubsansprüchen nach § 7 Absatz 3 BUrlG nicht hindert. Unbeschadet hiervon bleiben aber sekundäre Darlegungslasten des Arbeitnehmers, wie sie insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber als primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht, während der Arbeitnehmer aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kennt. In einer solchen Situation kann der Arbeitnehmer gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben weiteren Sachvortrag zu ermöglichen. In Anwendung dieser Grundsätze war das Gericht vorliegend zu der Überzeugung gelangt, dass das Vorbringen der Arbeitgeberin zu einer während des gesamten Urlaubsjahres 2006 bestehenden Arbeitsunfähig zu Grunde gelegt werden durfte.