Täuschung über Impfunfähigkeit kann Kündigung rechtfertigen
Ein in der Patientenversorgung eingesetzter Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich von § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, verletzt in erheblicher Weise eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.
Eine Mitarbeiterin war seit 1988 in einem Krankenhaus beschäftigt, zuletzt als Pflegehelferin. Die Arbeitgeberin hatte im Dezember 2021 alle betroffenen Mitarbeiter über die zum 16.03.2022 in Kraft tretende sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht informiert und um Vorlage der von § 20a Abs. 2 IfSG a.F. verlangten Nachweise gebeten. Die Mitarbeiterin legte der Arbeitgeberin daraufhin eine auf den 04.01.2022 datierte „Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Coronavirus Sars-CoV-2“ vor, die sie im Internet nach Zahlung einer Gebühr und Eingabe ihrer persönlichen Daten generiert und ausgedruckt hatte. In der Bescheinigung heißt es, dass „dieser Patient“ aufgrund der ärztlichen Einschätzung und Bewertung seiner Angaben vor einer Impfung mit Covid-19-Impfstoffen von einem Facharzt für Allergologie überprüft werden müsse. Bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens sei „der Patient“ zeitlich begrenzt bis zum 04.07.2022 impfunfähig und es bestehe die Gefahr, dass „der Patient“ durch eine Impfung schwere, ggf. sogar tödliche Nebenwirkungen erleben könne. Eine Kommunikation der Mitarbeiterin – und sei es fernmündlich oder digital – mit der vermeintlichen Ärztin, deren Unterschrift auf die Bescheinigung aufgedruckt ist, erfolgte nicht.
Die Arbeitgeberin informierte gemäß § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG a.F. das zuständige Gesundheitsamt, welches mitteilte, dass die Bescheinigung aus dem Internet heruntergeladen sei und somit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhe.
Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.
Der Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin gab das Arbeitsgericht in erster Instanz statt. Auf die Berufung der Arbeitgeberin wies das Landesarbeitsgericht die Kündigungsschutzklage ab.
Die Revision der Mitarbeiterin gegen das klageabweisende Urteil hatte keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte das Berufungsurteil.
In der unter Geltung von § 20a IfSG wahrheitswidrig erfolgten Behauptung durch einen in einem Krankenhaus beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber, aufgrund einer ärztlichen Untersuchung (Anamnese) sei festgestellt worden, dass er vorläufig nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden könne, liegt eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), die „an sich“ als wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Das gilt ungeachtet der Frage, ob der Arbeitnehmer laienhaft davon ausging, er sei tatsächlich (vorläufig) impfunfähig. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer sich wegen der Vorlage eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 277 ff. Strafgesetzbuch (StGB) strafbar gemacht hat. Maßgebend ist vielmehr der mit der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.
Das Landesarbeitsegericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, die von der Mitarbeiterin vorgelegte Bescheinigung erwecke für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es habe ein individueller Kontakt mit einer Ärztin unter Einschluss einer Anamnese stattgefunden und es handele sich gerade nicht um die bloße Wiedergabe einer allgemeinen medizinischen Auffassung.
Eine vorherige Abmahnung war aufgrund der besonderen Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich und auch die weitere Interessenabwägung fällt zulasten der Mitarbeiterin aus.
Das Landesarbeitsgericht musste der Mitarbeiterin auch keine Untauglichkeit ihres Täuschungsversuchs zugutehalten, weil es rechtsfehlerfrei gemeint hat, dass sich einem unbefangenen Leser der Bescheinigung ohne Recherche im Internet nicht unmittelbar aufdrängen musste, es könne schlechterdings kein persönlicher Kontakt zwischen der Mitarbeiterin und der ausstellenden vermeintlichen Ärztin stattgefunden haben. Dessen ungeachtet kann auch ein untauglicher Täuschungsversuch das vertragsnotwendige Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer irreparabel zerstören.
Das Landesarbeitsgericht musste die Interessenabwägung auch nicht deshalb zugunsten der Mitarbeiterin ausfallen lassen, weil sie „nur“ über eine durch ärztliche Untersuchung festgestellte vorläufige Impfunfähigkeit getäuscht hat, während eine Täuschung über eine erfolgte Impfung oder eine Genesung noch schwerere Folgen hätte haben können, weil sie den Arbeitgeber dazu hätte veranlassen können, auch von anderen Schutzmaßnahmen abzusehen. Das Gewicht der Pflichtverletzung der Mitarbeiterin verringert sich nicht dadurch, dass noch schwerer wiegende Verstöße denkbar sind.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2023
Aktenzeichen: 2 AZR 55/23