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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe

Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 283 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Schadensersatz statt der Leistung aus.

Ein Mitarbeiter war bis zum 30.11.2019 mit Führungsverantwortung bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Arbeitsvertraglich war ein Anspruch auf eine variable Vergütung vereinbart. Eine ausgestaltende Betriebsvereinbarung bestimmte, dass bis zum 1. März des Kalenderjahres eine Zielvorgabe zu erfolgen hat, die sich zu 70% aus Unternehmenszielen und 30% aus individuellen Zielen zusammensetzt, und sich die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils nach der Zielerreichung des Mitarbeiters richtet.

Am 26.09.2019 teilte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mit, für das Jahr 2019 werde bezogen auf die individuellen Ziele entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren von einem Zielerreichungsgrad von 142% ausgegangen. Erstmals am 15.10.2019 wurden dem Mitarbeiter konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Eine Vorgabe individueller Ziele für den Mitarbeiter erfolgte nicht. Die Arbeitgeberin zahlte an den Mitarbeiter für 2019 eine variable Vergütung in Höhe von rund 15.600 EUR brutto.

Der Mitarbeiter war der Ansicht, die Arbeitgeberin sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele verspätet vorgegeben habe. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100% und individuelle Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142% erreicht hätte. Deshalb stünden ihm unter Berücksichtigung der von der Arbeitgeberin  geleisteten Zahlung weitere rund 16.000 EUR brutto als Schadensersatz zu.

Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen, weshalb ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe ausgeschlossen sei. Unabhängig davon könne der Mitarbeiter allenfalls eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB verlangen. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersatzleistungsbestimmung schließe Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Zielvorgabe aus. Im Übrigen sei die Höhe eines möglichen Schadens unzutreffend berechnet.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hatte ihr stattgegeben. Die Revision der Arbeitgeberin vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht hatte zu Recht entschieden, dass der Mitarbeiter gegen die Arbeitgeberin nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 EUR brutto hat.

Die Arbeitgeberin hatte ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Mitarbeiter keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hatte, nachdem bereits etwa 3/4 der Zielperiode abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Deshalb kam hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB in Betracht.

Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO) zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens war nach § 252 Satz 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Mitarbeiter bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100% und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142% erreicht hätte. Besondere Umstände, die diese Annahme ausschließen, hatte die Arbeitgeberin nicht dargetan.

Der Mitarbeiter musste sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet ein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2025

Aktenzeichen: 10 AZR 57/24