Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe
Am 26.09.2019 teilte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin den Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mit, für das Jahr 2019 werde bezogen auf die individuellen Ziele entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren von einem Zielerreichungsgrad von 142% ausgegangen. Erstmals am 15.10.2019 wurden dem Mitarbeiter konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Eine Vorgabe individueller Ziele für den Mitarbeiter erfolgte nicht. Die Arbeitgeberin zahlte an den Mitarbeiter für 2019 eine variable Vergütung in Höhe von rund 15.600 EUR brutto.
Der Mitarbeiter war der Ansicht, die Arbeitgeberin sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele verspätet vorgegeben habe. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100% und individuelle Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142% erreicht hätte. Deshalb stünden ihm unter Berücksichtigung der von der Arbeitgeberin geleisteten Zahlung weitere rund 16.000 EUR brutto als Schadensersatz zu.
Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen, weshalb ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe ausgeschlossen sei. Unabhängig davon könne der Mitarbeiter allenfalls eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB verlangen. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersatzleistungsbestimmung schließe Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Zielvorgabe aus. Im Übrigen sei die Höhe eines möglichen Schadens unzutreffend berechnet.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hatte ihr stattgegeben. Die Revision der Arbeitgeberin vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.
Die Arbeitgeberin hatte ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Mitarbeiter keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hatte, nachdem bereits etwa 3/4 der Zielperiode abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Deshalb kam hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BGB in Betracht.
Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO) zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens war nach § 252 Satz 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Mitarbeiter bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100% und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142% erreicht hätte. Besondere Umstände, die diese Annahme ausschließen, hatte die Arbeitgeberin nicht dargetan.
Der Mitarbeiter musste sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet ein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt.