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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Mittels App eingesetzte Auslieferungsfahrer dürfen eigenen Betriebsrat wählen

Mittels App eingesetzte Auslieferungsfahrer dürfen eigenen Betriebsrat wählen

Für die Annahme eines relativ verselbstständigten Betriebsteils i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) genügt es, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (im Anschluss an den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.06.2023, Az. 7 ABR 19/22). Die innerhalb eines abgrenzbaren Liefergebietes tätigen Arbeitnehmer eines Onlinemarktplatzes können somit einen eigenen Betriebsrat wählen.

Bei der Arbeitgeberin handelt es sich um einen Lieferdienst, der über ein Onlineportal die Bestellung und Auslieferung der von ihren Partnerrestaurants angebotenen Speisen und Getränke organisiert. Im Mai 2023 hatten die Auslieferungsfahrer des Liefergebietes Aachen einen dreiköpfigen Betriebsrat gewählt. Die Wahl hielt die Arbeitgeberin allerdings für unwirksam, da das Liefergebiet Aachen über keine hinreichende organisatorische Selbstständigkeit verfüge. Vielmehr würden die Beschäftigten in Aachen mit den in Köln tätigen Arbeitnehmern einen einheitlichen Betrieb bilden.

Die Betriebsräte hielten dagegen, die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts, etwa die Erfassung der Arbeitszeit, die Personalplanung, die Dienstplaneinteilung, die Erstellung der Lohnabrechnungen, die Annahme von Urlaubsanträgen und die Krankmeldungen, die Entscheidung über Kündigungen und Abmahnungen erfolge mithilfe einer App. Fast sämtliche Personalentscheidungen würden zentral von der Verwaltung der Arbeitgeberin getroffen.

Das Arbeitsgericht Aachen wies die Wahlanfechtung der Arbeitgeberin zurück. Die Wahl ist weder nichtig noch unwirksam.

Der Wahlvorstand hatte den Betriebsbegriff nicht verkannt. Auch in einem qualifizierten Betriebsteil i.S.d. § 4 BetrVG kann ein eigenständiger Betriebsrat gewählt werden. Diese Voraussetzungen erfüllt hier das Liefergebiet Aachen. Gegenüber dem Hauptbetrieb ist es räumlich und organisatorisch abgrenzbar. Die Auslieferungsfahrer sind dem Liefergebiet fest zugeordnet; einen Austausch von Arbeitnehmern, etwa mit dem Liefergebiet Köln, gibt es nicht. Für die Annahme eines relativ verselbstständigten Betriebsteils i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG genügt es zudem, dass in der organisatorischen Einheit überhaupt eine den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Leitung institutionalisiert ist, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt (im Anschluss an den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 21.06.2023, Az. 7 ABR 19/22).

Die den Einsatz der Arbeitnehmer bestimmende Einheit ist hinreichend institutionalisiert. Da die Arbeitgeberin den Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer digital durch eine App steuert, reicht es aus, wenn alle Arbeitnehmer der abgrenzbaren Einheit den Weisungsrechten einer Leitungsmacht unterstehen, die für die Einheit zuständig ist. Es kommt gerade nicht darauf an, dass eine Person räumlich vor Ort in dem Betriebsteil anwesend ist, die Weisungsrechte per App auf den Weg bringt.

Weitere Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften waren nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Zwar hat das Gericht sämtliche Anfechtungsgründe, auf die es im Laufe des Verfahrens stößt, von Amts wegen zu berücksichtigen, gleichgültig ob sich die Beteiligten darauf berufen oder nicht. Eine Ausforschungspflicht besteht gleichwohl nicht.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen den Beschluss wurde Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt. Das Verfahren wir dort unter dem Azktenzeichen 9 TaBV 29/24 geführt.

Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.04.2024

Aktenzeichen: 2 BV 56/23