Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Zusatzurlaubstages
Der in dem Betrieb gebildete Betriebsrat war der Auffassung, dass sich aus der derzeitigen tarifvertraglichen Regelung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Urlaubsanspruches für Arbeitnehmer ergibt, welche über eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 25 Jahren verfügen. Er leitete daher im Jahr 2021 ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand der Gewährung eines zusätzlichen Urlaubs gem. § 12 1 A Nr. 10 BMTV ein. In ihrer Sitzung am 03.12.2021 fällte die Einigungsstelle einen Spruch, nach dessen Inhalt Beschäftigte des Betriebes gestaffelt nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 25, 30 und 35 Jahren Anspruch auf einen zusätzlichen Urlaub von bis zu vier Arbeitstagen im Urlaubsjahr erwerben. Das Unternehmen wandte sich arbeitsgerichtlich gegen den Einigungsstellenspruch.
Das Arbeitsgericht Lüneburg stellte mit Beschluss vom 17.08.2023 fest, dass der Spruch der Einigungsstelle unwirksam ist. Die Einigungsstelle war mangels Vorliegens eines Mitbestimmungsrechte nicht zuständig gewesen. Die hiergegen von dem Betriebsrat gerichtete Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG )besteht nicht, insbesondere ergibt sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats über die Höhe von Urlaubsansprüchen. Zwar entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass eine Erweiterung von Mitbestimmungsrechten über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus durch Tarifvertrag möglich ist, wovon auch das Arbeitsgericht stillschweigend ausgegangen war. Aus dem Bestehen eines zwingenden Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG folgt regelmäßig auch ein entsprechendes Initiativrecht des Betriebsrates, mit dem er eine entsprechende betriebliche Regelung ggf. durch Spruch der Einigungsstelle durchsetzen kann. Allerdings gilt dies nicht in Bezug auf die Einführung freiwilliger Leistungen. Ob bezüglich der Gewährung zusätzlicher Urlaubstage, für die im Tarifvertrag selbst kein Maßstab angelegt ist, ein Initiativrecht deswegen ausscheidet, konnte dahinstehen.
Im Ergebnis ist aus § 12 I A Nr. 10 BMTV kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zur Regelung eines Zusatzurlaubes für langjährig Beschäftigte abzuleiten. Die Auslegung des Wortlautes der Tarifvorschrift führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zweifel daran, dass eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats gewollt war, ergaben sich u.a. aus der weiteren Tarifgeschichte: In der Zeit von März 1979 bis Januar 2005 war in § 3 III BMTV ein tariflicher Anspruch von Arbeitnehmern ab dem vollendeten 60. Lebensjahr auf eine „zusätzliche Freistellung“ von 18 Arbeitstagen enthalten. Allerdings wurde § 11 BMTV im Jahr 1979 eben nicht gestrichen. Auch im Zusammenhang mit tariflichen Altersteilzeitregelungen wurde § 12 I A Nr. 10 BMTV nicht aufgehoben. Nach ständiger Formulierung des Bundesarbeitsgerichts kann in Zweifelsfällen auch die Tarifpraxis zur Auslegung einer Tarifnorm herangezogen werden. Diesbezüglich war festzustellen, dass der Betriebsrat auch etwa aus der jüngeren Vergangenheit, etwa ab den 1980er Jahren keine Fälle hatte belegen können, wonach ein Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung nach § 12 BMTV unter Berufung auf ein zwingendes Mitbestimmungsrecht durchgesetzt hatte.