Kündigung per Einwurf-Einschreiben: Einlieferungsbeleg mit Sendungsstatus ist kein Beweis
Das zuständige Regierungspräsidium erteilte der Arbeitgeberin mit Bescheid vom 25.07.2022 die Zustimmung zur (nochmaligen) Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der schwangeren Mitarbeiterin. Im Rahmen des damals noch erstinstanzlich anhängigen Kündigungsschutzverfahrens berief sich die Arbeitgeberin erstmals mit Schriftsatz vom 04.11.2022 darauf, sie habe das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiterin mit Schreiben vom 26.07.2022 ein weiteres Mal außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2022 gekündigt. Die Mitarbeiterin bestritt den Zugang dieses Kündigungsschreibens.
Die Arbeitgeberin behauptete, ihre Mitarbeiterinnen U. und K. hätten das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag gesteckt. Danach habe U. den Umschlag zur Post gebracht und dort am 26.07.2022 um 15:35 Uhr als Einwurf-Einschreiben persönlich aufgegeben. Ausweislich des im Internet abrufbaren sog. Sendungsstatus sei das Schreiben mit der entsprechenden Sendungsnummer der Mitarbeiterin am 28.07.2022 zugestellt worden. Insoweit bestehe ein Anscheinsbeweis, der durch das pauschale Bestreiten der Klägerin nicht erschüttert werde.
Die Mitarbeiterin beantragte gerichtlich festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung der Arbeitgeberin vom 26.07.2022 nicht beendet worden sei. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Mitarbeiterin hat das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Bundesarbeitsgerichts hat die hiergegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin zurückgewiesen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 20.06.2024, Az. 2 AZR 213/23) und des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Die Beklagte trägt insofern für den ihr günstigen Umstand des Zugangs des Kündigungsschreibens die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.08.2019, Az. 2 AZR 111/19).
Die Arbeitgeberin hatte für den von ihr behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens am 28.07.2022 in den Hausbriefkasten der Mitarbeiterin keinen Beweis angeboten, insbesondere keinen Zeugenbeweis der Person, die den Einwurf vorgenommen haben soll. Es bestand zudem auch kein Anscheinsbeweis zugunsten der Arbeitgeberin, dass ein Zugang des Kündigungsschreibens bei der Mitarbeiterin erfolgt war. Jedenfalls genügte der von ihr vorgelegte Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens zusammen mit einem von der Arbeitgeberin im Internet abgefragten Sendungsstatus nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass das Schreiben der Mitarbeiterin tatsächlich zugegangen war. Insofern begründet die Vorlage des Einlieferungsbelegs keine gegenüber einfachen Briefen – bei denen kein Anscheinsbeweis für den Zugang der Sendung besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.05.2022, Az. V ZB 66/21) – signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Zugang der Sendung beim gewollten Empfänger des Einwurf-Einschreibens.
Der Sendungsstatus ist kein Ersatz für den Auslieferungsbeleg. Er sagt nichts darüber aus, ob der Zusteller tatsächlich eine besondere Aufmerksamkeit auf die konkrete Zustellung gerichtet hat, die den Schluss rechtfertigen würde, dass die eingelieferte Sendung in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist. Für dieses Ergebnis spricht, dass der von der Arbeitgeberin vorgelegte Sendungsstatus weder erkennen ließ, an wen die Zustellung erfolgt sein soll (persönlich an den Empfänger, an eine andere Person in dessen Haushalt oder Einwurf in den Hausbriefkasten), noch zu welcher Uhrzeit, unter welcher Adresse oder zumindest in welchem Zustellbezirk.