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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats stellt grobe Pflichtverletzung dar

Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats stellt grobe Pflichtverletzung dar

Es kann eine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers nach § 23 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) darstellen, wenn er Kündigungen ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Absatz 1 BetrVG ausspricht. Unerheblich ist, dass nach dem Vortrag des Arbeitgebers zum fraglichen Zeitpunkt die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen sei und noch keine „eingeschwungene Praxis“ beim Ausspruch von Kündigungen bestanden habe.

Der Arbeitgeber hatte Ende Februar 2019 gegenüber dem Mitarbeiter A. eine Kündigung ausgesprochen, ohne den Betriebsrat zuvor angehört zu haben. Der Betriebsrat beanstandete dies (sowie verschiedene Verstöße gegen § 99 Abs. 1 BetrVG) mit Schreiben vom 16.04.2019. Daraufhin teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, dass im Fall des Herrn A. eine Anhörung des Betriebsrats deshalb unterblieben sei, weil die Kündigung in Abstimmung mit dem Rechtsbeistand und auf dessen Wunsch ausgesprochen wurde, um aus der Aufhebungsvereinbarung eine Abwicklungsvereinbarung zu machen.

Ende September 2020 erklärte der Arbeitgeber sechs krankheitsbedingte Kündigungen, ohne den Betriebsrat zuvor beteiligt zu haben. Der Arbeitgeber entschuldigte dies mit einem Versehen des zuständigen Sachbearbeiters der Personalabteilung und versicherte dem Betriebsrat, dass dieser -außer in den Fällen, in denen die Kündigung auf Wunsch des Arbeitnehmers ausgesprochen werde- künftig zu jeder Kündigung angehört werde.

Daraufhin beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht, dem Arbeitgeber aufzugeben, es unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen, Kündigungen auszusprechen, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgerichts den Beschluss abgeändert und dem Antrag stattgegeben.

Im vorliegenden Fall konnte von einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG ausgegangen werden. Dies ergab sich zum einen aus der Ende Februar 2019 gegenüber dem Mitarbeiter A. ausgesprochenen Kündigung ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats. Auch wenn dessen Rechtsbeistand im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen darum gebeten hatte, eine Kündigung auszusprechen, um aus einer Aufhebungs- eine Abwicklungsvereinbarung zu machen, war vor dem Ausspruch dieser „gewünschten“ Kündigung eine Betriebsratsanhörung erforderlich. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts war die vom Landesarbeitsgericht Hamm (Beschluss vom 19.07.2002, Az. 10 TaBV 42/02) – damals – noch als „höchstrichterlich nicht geklärt“ bezeichnete Frage zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber dem A. Ende Februar 2019 seit langem geklärt. Hinzu kam der Ausspruch der sechs Kündigungen aus September 2020 für die offensichtlich eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG erforderlich war.

Unerheblich war, dass nach dem Vortrag des Arbeitgebers zum fraglichen Zeitpunkt die Personalabteilung von vielen Vorgesetztenwechseln geprägt gewesen sei und noch keine „eingeschwungene Praxis“ beim Ausspruch von Kündigungen bestanden habe. Vielmehr hätte der Personalsachbearbeiter dann im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Einzelfallbearbeitung ohne weiteres erkennen können, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigungen anzuhören ist. Der Verstoß war auch objektiv erheblich. § 102 Abs. 1 BetrVG ist eines der wesentlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Die Pflichtverletzung war schwerwiegend, denn der Betriebsrat konnte seine kollektiven Rechte nicht zu Gunsten der von den Kündigungen betroffenen Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber wahrnehmen.

Die festgestellte grobe Pflichtverletzung indizierte die Wiederholungsgefahr. Faktische oder rechtliche Gründe, die eine Wiederholung des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens ausschließen, lagen nicht vor. Im Gegenteil: Es konnte jederzeit wieder vorkommen, dass der Personalsachbearbeiter vor dem Ausspruch von Kündigungen die Anhörung des Betriebsrats vergessen konnte. Die Zusicherung, künftig betriebsverfassungswidriges Verhalten zu unterlassen, konnte die Wiederholungsgefahr nicht ausschließen.

Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 08.08.2022

Aktenzeichen: 16 TaBV 191/21