Kein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung gegenüber Betriebsrat
Bei einer Abmahnung gegenüber dem Betriebsratsgremium besteht eine andere Sach- und Rechtslage als bei einer Abmahnung im Arbeitsverhältnis. Es gibt weder eine Personalakte für das Betriebsratsgremium, noch kann die berufliche Entwicklung des Betriebsratsgremiums beeinträchtigt werden. Der Betriebsrat hat insofern keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus den Akten der Arbeitgeberin.
Die Arbeitgeberin betreibt eine neurologische Klinik mit 370 Arbeitnehmern. Im Unternehmen waren im Frühjahr 2021 Verhandlungen zu einem Firmentarifvertrag geführt worden, die am 28.04.2021 durch die Arbeitnehmerseite abgebrochen wurden. Die Gewerkschaft Ver.di rief aus diesem Grund zu einer „aktiven Mittagspause“ auf. Im weiteren Verlauf verfasste der Betriebsrat ein Schreiben an die Geschäftsleitung, das diese als unzulässige Parteinahme für die gewerkschaftlichen Tarifforderungen bewertete. Infolgedessen übersandte die Geschäftsleitung dem Betriebsrat am 26.05.2021 eine sog. „betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung“. In dem Schreiben beanstandete die Geschäftsleitung einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Betriebsrats in der Lohnpolitik und wies auf die Möglichkeit einer Auflösung des Betriebsrats hin. Der Betriebsrat war der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Entfernung des Schreibens aus den Akten der Arbeitgeberin habe. Der Anspruch könne u.a. auf § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) gestützt werden, der neben dem Verbot von Betriebsratsbehinderungen auch den Anspruch auf Beseitigung solcher Behinderungen beinhalte. Der Beseitigungsanspruch gründe vorrangig darauf, dass der Betriebsrat gar keine Pflicht zuvor verletzt habe.
Das Arbeitsgericht wies die Anträge des Betriebsrats zurück. Der Entfernungsantrag des Betriebsrats war unbegründet.
Bei einer Abmahnung gegenüber dem Betriebsratsgremium besteht eine andere Sach- und Rechtslage als bei einer Abmahnung im Arbeitsverhältnis. Es gibt weder eine Personalakte für das Betriebsratsgremium, noch kann die berufliche Entwicklung des Betriebsratsgremiums beeinträchtigt werden. Der Betriebsrat ist die demokratisch legitimierte Interessenvertretung der Belegschaft, deren Rechten und Pflichten sich aus dem Gesetz ergeben. Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber besteht kein arbeitsvertragliches Schuldverhältnis, in dessen Rahmen der Arbeitgeber als Gläubiger eines Weisungsrechts auf die Verletzung von Vertragspflichten und deren Konsequenzen hinweisen muss. Der Betriebsrat kann den Beseitigungsanspruch nicht auf eine Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts stützen. Die Bestimmung des § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) kommt nicht in Betracht. Die Terminologie „Abmahnung“ im kollektivrechtlichen Kontext suggeriert zu Unrecht eine Vergleichbarkeit mit einer individualrechtlichen, hergebrachten Abmahnung. § 78 BetrVG begründet bei einer Störung oder Behinderung der Arbeit des Betriebsrats durch den Arbeitgeber einen Unterlassungsanspruch. Der Begriff der Behinderung ist umfassend zu verstehen; allerdings nicht so umfassend, dass bereits Kritik des Arbeitgebers, die von Betriebsratsmitgliedern als Einschüchterung empfunden wird, als zu beseitigende Behinderung aufzufassen ist. Eine als „Abmahnung“ betiteltes Schreiben des Arbeitgebers kann der Betriebsrat grundsätzlich nicht nach § 78 BetrVG entfernen lassen. Die Rücknahme einer rechtlichen Bewertung kann nur bedeuten, dass der Arbeitgeber seine Meinung ändern und selbst von der Unwahrheit oder fehlenden Berechtigung der Bewertung überzeugt sein soll. Niemand kann aber gegen seinen Willen gezwungen werden, seine Rechtsauffassung zu ändern. Ein Widerrufsanspruch besteht entsprechend den §§ 242, 1004 BGB nur dann, wenn eine Abmahnung auch Dritten gegenüber bekannt gegeben worden ist. Ein Widerrufsanspruch ist ausgeschlossen, wenn etwaige beleidigende oder unrichtige Äußerungen nur dem Verletzten gegenüber gefallen sind. Unstreitig war die streitige Abmahnung vom 26.05.2021 lediglich an die Betriebsratsvorsitzende gesandt worden
Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 12.01.2022
Aktenzeichen: 10 BV 43/21