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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Haftungsausschluss bei Infektion mit dem Covid-19-Virus am Arbeitsplatz

Haftungsausschluss bei Infektion mit dem Covid-19-Virus am Arbeitsplatz

Aus dem Zweck des § 104 Sozialgesetzbuch (SGB) VII folgt, dass für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich ist. Der Vorsatz des Schädigers muss daher nicht nur die Verletzungshandlung an sich, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Dabei indiziert allein der Verstoß gegen Schutzvorschriften keinen Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg.

Eine Mitarbeiterin war seit 1991 als Küchenhilfe in der Kantine der von ihrem Arbeitgeber betriebenen Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sie erhielt monatlich ein Bruttoentgelt von zuletzt 1.788 EUR. In der Küche arbeitete sie mit zwei weiteren Kolleginnen zusammen. Alle drei Arbeitnehmerinnen erkrankten im Februar 2021 an Corona. Die Mitarbeiterin verstarb nach einer Pneumonie und schließlich an einem septischen Multiorganversagen.

Der Arbeitgeber zeigte gegenüber der zuständigen Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege Anhaltspunkte für eine Berufskrankheit bei der Verstorbenen an. Der Ehemann der verstorbenen Mitarbeiterin behauptete, der Arbeitgeber habe die erforderlichen Hygieneschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz seiner Ehefrau jedenfalls bedingt vorsätzlich nicht eingehalten. Aus diesem Grund sei es am Arbeitsplatz zu einer Infektion mit dem Covid-19-Virus gekommen. Der Arbeitgeber habe auch in Bezug auf den Tod seiner Ehefrau bedingt vorsätzlich gehandelt, so dass das Haftungsprivileg des § 104 Abs. 1 SGB VII nicht greife.

Das Arbeitsgericht hatte die auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht wies die hiergegen gerichtete Berufung des Ehemanns der verstorbenen Mitarbeiterin zurück.

Die Behauptung des Klägers, die Ansteckung seiner Ehefrau sei am Arbeitsplatz erfolgt, war nicht erwiesen worden. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Arbeitstätigkeit und der Infektion der Verstorbenen konnte nicht belegt werden. Es fehlte an der haftungsbegründenden Kausalität, die für alle denkbaren Anspruchsgrundlagen – sowohl vertraglicher als auch deliktischer Natur – für eine Haftung des Arbeitgebers erforderlich war.

Auch im Rahmen eines auf § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützten Schadensersatzanspruchs war der Kläger vollumfänglich darlegungs- und beweisbelastet für alle den Kausalzusammenhang begründenden Tatsachen ist. Die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB bezieht sich alleine auf das „Vertreten müssen“, nicht jedoch auf die Kausalität. Auch eine Beweiserleichterung verhalf dem Kläger nicht zum Erfolg. Denn für das Gericht war aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, gegen welche Sicherungsmaßnahmen bzw. Hygienekonzepte der Arbeitgeber  verstoßen haben sollte.

Selbst eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers unterstellt und ebenfalls unterstellt, diese hätte zu einer Infektion der Ehefrau des Klägers geführt, schiede eine Haftung des Arbeitgebers aus. Denn für diesen Fall greift nach Auffassung des Gerichts der Haftungsausschluss des § 104 Abs. 1 SGB VII. Aus dem Zweck des § 104 SGB VII folgt, dass für die Annahme der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalls ein „doppelter Vorsatz“ erforderlich ist. Der Vorsatz des Schädigers muss daher nicht nur die Verletzungshandlung an sich, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen. Dabei indiziert allein der Verstoß gegen Schutzvorschriften keinen Vorsatz im Hinblick auf den Verletzungserfolg. Selbst derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, will regelmäßig nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst, sondern hofft, dass diesem kein Unfall widerfahren werde.

Da es umgekehrt aber auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, dass derjenige, der vorsätzlich eine solche Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, kommt es bei der Prüfung auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Von einem „dem Zufall überlassen“ konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht die Rede sein. Der Arbeitgeber hatte vielmehr durch die diversen zur Akte gereichten Infektionsschutzkonzepte ausreichend belegt, dass er während der Corona-Pandemie auf das Wohlergehen seiner Mitarbeiter bedacht war.

Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 07.11.2023

Aktenzeichen: 1 Sa 91/23