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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Freistellung während der Kündigungsfrist: Wann liegt böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes vor?

Freistellung während der Kündigungsfrist: Wann liegt böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes vor?

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig iSd. § 615 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht.

Ein Mitarbeiter war seit November 2019 bei einer Arbeitgeberin beschäftigt, zuletzt als Senior Consultant gegen eine monatliche Vergütung von 6.440 EUR brutto. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.03.2023 ordentlich zum 30.06.2023 und stellte den Mitarbeiter unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der von dem Mitarbeiter erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht am 29.06.2023 statt. Die von der Arbeitgeberin dagegen eingelegte Berufung hatte das Landesarbeitsgericht am 11.06.2024 zurückgewiesen.

Nach Zugang der Kündigung meldete sich der Mitarbeiter Anfang April 2023 arbeitssuchend und erhielt von der Agentur für Arbeit erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge. Die Arbeitgeberin übersandte ihm hingegen schon im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte Stellenangebote, die nach ihrer Einschätzung für den Mitarbeiter in Betracht gekommen wären. Auf sieben davon bewarb sich der Mitarbeiter, allerdings erst ab Ende Juni 2023.

Nachdem die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter für Juni 2023 keine Vergütung mehr zahlte, erhob der Mitarbeiter Klage auf Zahlung. Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung und wandte ein, der Mitarbeiter sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 Satz 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Arbeitgeberin bezogenen Gehalts anrechnen lassen.

Das Arbeitsgeicht hatte die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Mitarbeiters hatte das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die dagegen erhobene Revision der Arbeitgeberin beim Bundesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg.

Die Arbeitgeberin befand sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Mitarbeiters während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug und schuldete dem Mitarbeiter nach § 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist. Nicht erzielten anderweitigen Verdienst musste sich der Mitarbeiter nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Der durch eine fiktive Anrechnung nicht erworbenen Verdienstes beim Arbeitnehmer eintretende Nachteil ist nur gerechtfertigt, wenn dieser wider Treu und Glauben (§ 242 BGB) untätig geblieben ist.

Weil § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung enthält, kann der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers zu anderweitigem Erwerb nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden. Die Arbeitgeberin hatte hier nicht dargelegt, dass ihr die Erfüllung des aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden, auch während der Kündigungsfrist bestehenden Beschäftigungsanspruchs des Mitarbeiters unzumutbar gewesen wäre. Ausgehend hiervon bestand für ihn keine Verpflichtung, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Arbeitgeberin ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.02.2025

Aktenzeichen: 5 AZR 127/24