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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Bonus System: Schadensersatz wegen verspätet erfolgter Zielvorgabe

Bonus System: Schadensersatz wegen verspätet erfolgter Zielvorgabe

Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen.

Eine Mitarbeiterin war seit 1988 zuletzt als Assistenz im Bereich Sales auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages aus 2005 bei einer Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Für ihre Tätigkeit erhielt sie zuletzt ein jährliches Fixgehalt in Höhe von 66.887 EUR brutto. Der Arbeitsvertrag beinhaltete zudem das H. Bonus System. Der Bonus wurde zusätzlich zum fixen Jahreseinkommen gezahlt und war auf 26% vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wurde nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt. Die Unternehmensführung behielt es sich vor, das bestehende Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen. Die Zielvereinbarung für das neue Fiskaljahr sowie die Beurteilung der Zielerreichung für das abgelaufene Fiskaljahr waren bis zum 31.05. abzuschließen. Die jährliche Auszahlung des Bonus erfolgte mit dem Junigehalt.“

Am 26.10.2021 veröffentlichte die Arbeitgeberin Unternehmensziele. Mit Schreiben vom 16.05.2022 wurde allen bonusberechtigten Angestellten mitgeteilt, dass es für das Geschäftsjahr 2021 zu keiner Bonusauszahlung kommen würde. Mit Bekanntmachung vom 20.07.2022 teilte die Arbeitgeberin ihren bonusberechtigten Angestellten mit, dass es doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen werde. Die Mitarbeiterin erhielt sodann eine anteilige Auszahlung i.H.v. 6.652 EUR brutto. Dieser Betrag entsprach 38,46% des gesamten Bonus bei 100%iger Zielerfüllung. Eine weitere Zahlung erfolgte trotz Aufforderung durch die Mitarbeiterin nicht.

Die Mitarbeiterin machte für das Geschäftsjahr 2021 gerichtlich einen Bonus in Höhe von 17.380 EUR brutto abzüglich geleisteter 6.652 EUR brutto geltend. Dies sei der Betrag, der sich bei Erreichen von 100% der Unternehmensziele ergeben würde. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Arbeitgeberin bestätigte das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung.

Die Mitarbeiterin hat gegen die Arbeitgeberin einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.727 EUR brutto wegen schuldhafter Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch verspätet erfolgte Zielvorgabe.

Die Arbeitgeberin hatte ihre arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie die laut arbeitsvertraglicher Regelung zum Bonussystem erforderliche Vorgabe der Unternehmensziele der Mitarbeiterin erst so spät mitgeteilt hatte, dass die einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden war. Erfolgt eine Zielvorgabe entgegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht oder zu einem so späten Zeitpunkt, dass ihr keinerlei sinnvolle Anreizfunktion mehr zukommen kann, kann der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig machen (wie Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.02.2024, Az. 4 Sa 390/23). Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist. Die Veröffentlichung der Unternehmensziele erfolgte hier am 26.10.2021, also wenige Wochen vor Ende des Geschäfts- und Kalenderjahres, und damit zu spät.

Anders als vom Erstgericht angenommen handelt es sich hier nicht um eine Zielvereinbarung, sondern um eine Zielvorgabe. Das Berufungsgericht schloss sich insoweit umfassend den zutreffenden Entscheidungsgründen der 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg im Urteil vom 27.03.2024 (Az. 2 Sa 293/23), an. Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich demnach grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die Bonuszahlung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen stehen Zielvorgaben nicht zur Disposition des Arbeitnehmers, sondern werden allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht i.S.d. § 315 Abs. 1 Bürgerliches Gesezbuch (BGB) eingeräumt wird.

Die Mitarbeiterin konnte gemäß § 280 Abs. 3 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, weil eine einseitige Zielvorgabe durch Zeitablauf unmöglich geworden war. Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtete sich nach §§ 249 ff. BGB. Es ist bei der Schadensberechnung wegen einer verspäteten Zielvorgabe grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Umstände, die die Annahme, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, entkräften könnten, waren hier nicht (ausreichend) vorgetragen worden.

Die Arbeitgeberin konnte sich auch nicht auf einen Widerruf der Bonusregelung berufen. Denn der im Arbeitsvertrag vorgesehene Anpassungsvorbehalt, nach dem es sich die Unternehmensführung vorbehält, das Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen, war aus formellen Gründen unwirksam. Die Anpassungsklausel wurde dem Transparenzgebot nicht gerecht.

Die Arbeitgeberin hat Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegt. Das Verfahren ist beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 10 AZR 125/24 anhängig.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 26.04.2024

Aktenzeichen: 8 Sa 292/23