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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer in Deutschland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Ein seit 2002 bei einer Arbeitgeberin beschäftigter Lagerarbeiter mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von rund 3.600 EUR hatte der Arbeitgeberin in den Jahren 2017, 2019 und 2020 im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Vom 22.08. bis zum 09.09.2022 hatte der Mitarbeiter Urlaub, den er in Tunesien verbrachte. Mit E-Mail vom 07.09.2022 teilte er der Arbeitgeberin mit, er sei bis zum 30.09.2022 krankgeschrieben. Beigefügt war ein Attest vom 07.09.2022 eines tunesischen Arztes, der in französischer Sprache bescheinigte, dass er den Mitarbeiter untersucht habe, dieser an „schweren Ischialbeschwerden“ im engen Lendenwirbelsäulenkanal leide, der Mitarbeiter 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30.09.2022 benötige und er sich während dieser Zeit nicht bewegen oder reisen dürfe.

Einen Tag nach dem Arztbesuch buchte der Mitarebeiter am 08.09.2022 ein Fährticket für den 29.09.2022 und reiste an diesem Tag mit seinem Pkw zunächst mit der Fähre von Tunis nach Genua und dann weiter nach Deutschland zurück. Danach legte er der Arbeitgeberin eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 04.10.2022 vor, in der Arbeitsunfähigkeit bis zum 08.10.2022 bescheinigt wurde. Nachdem die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter mitgeteilt hatte, dass es sich ihrer Auffassung nach bei dem Attest vom 07.09.2022 nicht um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handele, legte der Mitarbeiter eine erläuternde Bescheinigung des tunesischen Arztes vom 17.10.2022 vor, in welcher der Arzt bescheinigte, den Mitarbeiter am 07.09.2022 untersucht zu haben. Weiter heißt es: „Er hatte eine beidseitige Lumboischialgie, die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage vom 07/09/2022 bis zum 30/09/2022 erforderlich machte.“

Die Arbeitgeberin lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung für September 2022 um rund 1.600 EUR netto. Der Mitarbeiter klagte auf Entgeltfortzahlung für September 2022 in dieser Höhe.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hatte ihr auf die Berufung des Mitarbeiters stattgegeben. Auf die Revision der Arbeitgeberin hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

Zwar kommt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zu, wenn sie erkennen lässt, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat. Hier war aber der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, so dass Zweifel am tatsächlichen Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit bestanden.

Das Landesarbeitsgericht hatte bei der Würdigung der von der Arbeitgeberin zur Begründung ihrer Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorgetragenen tatsächlichen Umstände nur jeden einzelnen Aspekt isoliert betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der tunesische Arzt dem Mitarbeiter für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Weiter buchte der Mitarbeiter bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Verbots, sich bis zum 30.09.2022 zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für den 29.09.2022 und trat an diesem Tag die lange Rückreise nach Deutschland an. Zudem hatte er bereits in den Jahren 2017 bis 2020 dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Diese Gegebenheiten mögen – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hatte – für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründeten sie indes ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Das hat zur Folge, dass nunmehr der Mitarbeiter die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen seiner krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hatte, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.01.2025

Aktenzeichen: 5 AZR 284/24