Beweis des ersten Anscheins für den Zugang eines Einwurf-Einschreibens
Die Mitarbeiterin meinte, das Arbeitsverhältnis habe erst mit Ablauf des 31.03.2022 geendet. Sie bestritt den Einwurf des Kündigungsschreibens in ihren Hausbriefkasten zu den üblichen Postzustellungszeiten. Mit einer Entnahme des Schreibens aus dem Briefkasten am selben Tag sei deshalb nicht zu rechnen gewesen, sodass der Zugang der Kündigung erst am o1.10.2021 erfolgt sei.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Mitarbeiterin zurück. Das Bundesarbeitsgericht wies auch die Revision der Mitarbeiterin zurück.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 22.08.2019, Az. 2 AZR 111/19) und des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.
Es bestand ein Beweis des ersten Anscheins, dass das Kündigungsschreiben am Zustelltag zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Mitarbeiterin gelegt wurde. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises begründen weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweisvermutung und auch keine Beweislastumkehr zulasten einer Partei. Ein Anscheinsbeweis wird vielmehr bereits dadurch erschüttert, dass der Prozessgegner atypische Umstände des Einzelfalls darlegt und im Fall des Bestreitens Tatsachen nachweist, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2016, Az. XI ZR 91/14). Nach diesem Maßstab bestand ein Anscheinsbeweis, dass das Kündigungsschreiben am 30.09.2021 zu den üblichen Postzustellzeiten in den Hausbriefkasten der Mitarbeiterin gelegt wurde.
Das Kündigungsschreiben wurde am 30.09.2021 von einem Bediensteten der Deutschen Post AG in den Hausbriefkasten der Mitarbeiterin gelegt. Dies begründete den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Einwurf innerhalb der postüblichen Zustellzeiten erfolgt war. Maßgeblich war allein der Umstand, dass sich die übliche Postzustellungszeit aus der Arbeitszeit der Postbediensteten ergibt und die Zustellung vorliegend durch einen solchen Bediensteten erfolgt war.
Die Mitarbeiterin hatte den Beweis des ersten Anscheins nicht erschüttert. Sie hatte keine atypischen Umstände des Einzelfalls dargelegt, die die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs nahelegten. Vielmehr hatte sie sich insoweit auf eine Erklärung mit Nichtwissen beschränkt.