Rechtsanwalt Dr. von Harbou

Vertrauen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Geben Sie mir die Gelegenheit, Sie von mir und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Gerne vereinbare ich mit Ihnen einen ersten Termin, in dem wir Ihr Anliegen besprechen und ich Sie anschließend über die rechtlichen Möglichkeiten, Erfolgsaussichten, Risiken und Kosten informiere.

Geschäftszeiten

Montag - Freitag 09:00 -18:00 Uhr
Samstag - Sonntag Geschlossen

Aktueller Rechtsblog

Top
Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Betriebsratswahl: Zugänglichmachung des Wahlausschreibens an nicht im Betrieb anwesende Mitarbeiter

Betriebsratswahl: Zugänglichmachung des Wahlausschreibens an nicht im Betrieb anwesende Mitarbeiter

§ 3 Abs. 4 Satz 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO) in der Fassung vom 08.10.2021 verpflichtet den Wahlvorstand das Wahlausschreiben unmittelbar nach seinem Erlass den Personen zugänglich zu machen, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (§ 24 Abs. 2 WO). Die Versendung des Wahlausschreibens an den von § 24 Abs. 2 WO erfassten Personenkreis erst mit den Briefwahlunterlagen nach Ablauf der Fristen für Einsprüche gegen die Wählerliste und Einreichung von Wahlvorschlägen ist ein grundsätzlich zur Wahlanfechtung berechtigender Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren.

Die Beteiligten stritten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Bei einem Einzelhandelsunternehmen mit bundesweit 17 Niederlassungen waren  durch Zuordnungstarifvertrag vom 18.12.2009 bundesweit sieben Einzelhandels-Betriebsratsregionen gebildet. Die Betriebsratsregion Nr. 7 (Ost) umfasste vier Niederlassungsgebiete mit mindestens 870 Filialen mit insgesamt ca. 14.500 Mitarbeitern. Die im Zeitraum 16.05. bis 18.05.2022 in dieser Region durchgeführte Betriebsratswahl war Gegenstand dieses Verfahrens.

Unter dem 29.03.2022 fertigte der Wahlvorstand das Wahlausschreiben und versandte es auf elektronischem Weg in die Filialen. Dort ließ er das Wahlausschreiben von ausgewählten angewiesenen Mitarbeitern ausdrucken und aufhängen. Zu diesem Zeitpunkt waren mindestens 292 Mitarbeiter (u.a. wegen Mutterschutz, Elternzeit, Erkrankung) dauerhaft, mithin voraussichtlich auch zum Zeitpunkt der Wahl, nicht in den Filialen der Betriebsratsregion Nr. 7 des Unternehmens anwesend. Die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen endete ausweislich des Wahlausschreibens vom 29.03.2022 am 12.04.2022.

Der Wahlvorstand versandte das Wahlausschreiben an die dauerhaft abwesenden Mitarbeiter, die auch zum Wahlzeitpunkt nicht in der Betriebsratsregion und in den Filialen sein würden, erst zusammen mit den Unterlagen für die Briefwahl nach dem 19.04.2022. Die Betriebsratswahl fand vom 16.05. bis 18.5.2022 statt. Nach der darauffolgenden Stimmenauszählung machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis am 30.05.2022 bekannt. 30 Mitarbeiter fochten die Wahl an und begehrten die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl.

Das Arbeitsgericht gab dem Antrag statt und erklärte die angefochtene Betriebsratswahl für unwirksam. Die Versendung des Wahlausschreibens an die zum Zeitpunkt der Wahl voraussichtlich nicht präsenten Arbeitnehmer sei zu spät erfolgt. Die Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss hatte vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Der Wahlvorstand hatte gegen seine Verpflichtung, das Wahlausschreiben rechtzeitig an die Personen zu übersenden, welche im Wahlzeitraum voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden (§ 24 Abs. 2 Wahlordnung), verstoßen (§ 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung). Nach der Vorschrift ist das Wahlausschreiben unmittelbar nach seinem Erlass dem Personenkreis gem. § 24 Abs. 2 Wahlordnung zugänglich zu machen. Unstreitig waren bei der hier infrage kommenden Wahl mindestens 292 wahlberechtigte Arbeitnehmer betroffen. § 3 Abs. 4 Satz 4 Wahlordnung beinhaltet die Pflicht zur unverzüglichen Versendung des Wahlausschreibens an die betreffenden Arbeitnehmer. Das ergab sich schon aus dem Wortlaut und wurde gestützt durch den Zweck der Regelung. Die Wahlberechtigten sollen schon vor der Zusendung der Wahlunterlagen, die erst erfolgt, wenn die Vorschlagslisten bekannt gemacht werden, die Möglichkeit haben, nicht nur Kenntnis von der Durchführung der Wahl zu erlangen, sondern sich auch in das Verfahren einzubringen. Die Beteiligung erfolgt über ein repräsentatives Modell, über ein Betriebsratsgremium, weshalb es zwingend erforderlich ist, dass die Wahl demokratischen Grundsätzen genügt. Wenn dieser Grundsatz gestärkt werden soll, dann macht es keinen Sinn, die Wahlausschreiben in einem Zeitpunkt zu versenden, in dem nur noch die Ausübung des aktiven Wahlrechts möglich ist. Hiergegen hatte der Wahlvorstand in mindestens 292 Fällen verstoßen, indem er das Wahlausschreiben erst zusammen mit den Briefwahlunterlagen versendet hatte in einem Zeitpunkt, als die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen und die Frist für Einsprüche gegen die Wählerliste bereits verstrichen war.

Es war nicht mit der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Sicherheit feststellbar, dass der hier zur Überzeugung des Gerichts vorliegende Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren keinen Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte. Gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG muss nicht nachgewiesen werden, dass bei einem lebensnahen Ansatz der Fehler wahrscheinlich Einfluss auf das Ergebnis gehabt haben könnte, sondern umgekehrt, bei Anwendung des lebensnahen Maßstabes muss ausgeschlossen werden können, dass ein Einfluss auf das Wahlergebnis stattgefunden haben könnte. Dies konnte hier nicht festgestellt werden.

Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.

Beschluss des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 27.03.2024

Aktenzeichen: 4 TaBV 13/23