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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Betriebsbedingte Kündigung wegen Wegfalls eines Großauftrages

Betriebsbedingte Kündigung wegen Wegfalls eines Großauftrages

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) besteht, wenn eine unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage außerbetrieblicher Umstände zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfes im Betrieb führen.

Eine Mitarbeiterin war seit 2021 in Vollzeit als Disponentin bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Der Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen für die Durchführung von Taxi- und Mietwagenfahrten und beschäftigte bis April 2024 etwa 23 Arbeitnehmer/innen einschließlich der betreffenden Mitarbeiterin. Bis zum 31.10.2023 führte der Arbeitgeber für eine Verkehrsgesellschaft (VLP) nahezu den gesamten Rufbusverkehr im Landkreis als Exklusiv-Leistung durch. Der ursprünglich bis 2026 befristete Vertrag endete aufgrund außerordentlicher Kündigung der VLP zum 31.10.2023, was mit einem erheblichen Einbruch der Umsätze und der zu disponierenden Fahrten einherging. Kurz- und mittelfristig war keine Besserung der Auftragslage zu erwarten. Statt 6.000 Rufbusfahrten und 750 Taxi- sowie Krankenfahrten mussten ab dem 01.11.2023 täglich nur noch 20 bis 30 Fahrten disponiert werden.

Daraufhin beschloss der Arbeitgeber, den drei neben der Mitarbeiterin tätigen Disponentinnen jeweils die Fortführung des Arbeitsverhältnisses als Fahrerin anzubieten, was diese ab Dezember 2023 auch in Anspruch nahmen. Die betreffende Mitarbeiterin selbst verfügt allerdings über keine Fahrerlaubnis. Am 15.04.2024 erhielt sie eine betriebsbedingte Kündigung zum 31.05.2024. Hiergegen wandte sie sich gerichtlich mit einer Kündigungsschutzklage. Sie meinte, der Arbeitgeber müsse die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose im Einzelnen darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistungen, d.h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit erledigt werden könne. Dementsprechende Darlegungen habe der Arbeitgeber im Prozess nicht beigebracht.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen und ausgeführt, die im Streit befindliche Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Kündigung verstieß nicht gegen § 1 KSchG. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes waren dringende betriebliche Erfordernisse gegeben, aufgrund derer die Beschäftigungsmöglichkeit für die Mitarbeiterin mit Ablauf der Kündigungsfrist weggefallen war.

Dringende betriebliche Erfordernisse liegen vor, wenn die Durchführung oder die eingeleitete Durchführung einer unternehmerischen Entscheidung einer Beschäftigungsmöglichkeit die Grundlage entzieht. Beschränkt sich der Arbeitgeber darauf, sich an äußere Sachzwänge zu binden, muss er im Prozess im Einzelnen darlegen, dass der sog. außerbetriebliche Grund tatsächlich in dem von ihm behaupteten Umfang vorliegt und sich unmittelbar oder mittelbar auf den Arbeitsplatz der gekündigten Arbeitnehmerin auswirkt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 548/10). Im Fall einer sog. gebundenen Unternehmerentscheidung ist es genügend, aber auch erforderlich, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung eine vernünftige und betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, dass bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist das erwartete Ereignis eingetreten ist und die Arbeitnehmerin entbehrt werden kann.

Infolgedessen war die hier streitige Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Die durch den Arbeitgeber auf der Grundlage des Wegfalls des Großauftrages getroffene unternehmerische Entscheidung hatte zum Wegfall des Arbeitsplatzes der Mitarbeiterin geführt. Die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers, mit Wirkung ab dem 01.11.2023 keine Disponentinnen mehr zu beschäftigen, war nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich. Durch den Wegfall des Großauftrages hatte sich die Anzahl der durchschnittlich monatlich zu disponierenden Fahrten von 6.750 auf 750 ab November 2023 und mithin im Mittelwert auf 25 zu disponierende Fahrten täglich reduziert. Der Arbeitgeber hatte die von ihm getroffenen betriebsorganisatorischen und arbeitsorganisatorischen Maßnahmen auch nachvollziehbar dargelegt.

Auf der Grundlage des Vortrages der Parteien im Prozess war eine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Mitarbeiterin auf einem freien Arbeitsplatz bei dem Arbeiutgeber nicht ersichtlich. Die Kündigung war schließlich auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam. Unter Berücksichtigung des gegebenen Sach- und Streitstandes ließ sich eine rechtsfehlerhafte Sozialausfall nicht feststellen.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15.01.2024

Aktenzeichen: 3 SLa 156/24