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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Betriebsbedingte Kündigung eines leitenden Physiotherapeuten unwirksam

Betriebsbedingte Kündigung eines leitenden Physiotherapeuten unwirksam

Grundsätzlich kann die Vergabe von bisher im Betrieb des Arbeitgebers durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen und die daraus resultierende Schließung einer Abteilung eine unternehmerische Organisationsentscheidung sein, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führt und damit eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt muss aber vom Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratsanhörung so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich ein Bild davon zu machen.

Ein Arbeitgeber, der einen traditionsreichen Sportverein mit einer Fußballabteilung in Gelsenkirchen betreibt, hält eine Lizenzmannschaft, die zurzeit in der zweiten Fußball-Bundesliga spielt. Zu der Fußballabteilung gehört auch ein Nachwuchs-Leistungszentrum mit Scouting-Bereich. Der Arbeitgeber beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit außerhalb der Auszubildenden und hat einen Betriebsrat. Ein heute 51-jähriger Mitarbeiter ist seit 2015 als Physiotherapeut bei dem Arbeitgeber beschäftigt, seit Juli 2014 in leitender Funktion in der Abteilung Lizenz. Laut Arbeitsvertrag ist der Arbeitgeber berechtigt, dem Mitarbeiter ein anderes, seinen Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechendes Aufgaben- und Tätigkeitsgebiet ohne Einschränkung der Vergütung zu übertragen und/oder ihn an einen anderen Ort zu versetzen.

In der Saison 2023/2024 waren in der Lizenz-Mannschaft drei Physiotherapeuten beschäftigt. Allen dreien erklärte der Arbeitgeber die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Kündigung erfolge betriebsbedingt, da die Stelle Physiotherapeut für den Bereich Lizenz ab der kommenden Saison nicht mehr besetzt werde und entfalle. Eine anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit – auch zu gegebenenfalls geänderten Vertragsbedingungen, werde nicht gesehen. Aus Sicht des Arbeitgebers würden sozial vergleichbarere Mitarbeitende nicht beschäftigt, wonach nach Einschätzung des Arbeitgebers eine Sozialauswahl nicht durchzuführen sei. Betriebsrat und Personalausschuss wurden benachrichtigt.

Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung des Mitarbeiters. Bei dem Arbeitgeber seien im Nachwuchs-Leistungszentrum vergleichbare Arbeitnehmer im Bereich Physiotherapie beschäftigt, die hinsichtlich Tätigkeit und Qualifikation mit dem Mitarbeiter vergleichbar seien, jedoch einen geringeren sozialen Schutz aufgewiesen. Der Arbeitgeber wies das Weiterbeschäftigungsverlangen zurück und kündigte dem Mitarbeiter am 31.05.2024 mit Wirkung zum 30.11.2024. Am 23.09.2024 suchte der Arbeitgeber auf einem Internetportal einen motivierten und erfahrenen Physiotherapeuten für die Betreuung der Jugendmannschaft U15/U16. Bereits zum 15.06.2024 hatte der Arbeitgeber einen Dienstleistungsvertrag mit der Orthopädie D. abgeschlossen, sich aber ein umfangreiches Weisungsrecht vorbehalten. Der gekündigte Mitarbeiter klagte gegen seine Kündigung.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters statt gegeben und den Arbeitgeber dazu verurteilt, den Mitarbeiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als leitenden Physiotherapeuten in der Abteilung Lizenz weiter zu beschäftigen.

Die Kündigung war nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters in dem Betrieb des Arbeitgebers entgegenstehen, bedingt gewesen, § 1 Abs. 2 Satz 1, Satz 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Der Arbeitgeber war seiner Darlegungslast bezüglich eines dringenden betrieblichen Erfordernisses nicht nachgekommen.

Grundsätzlich kommt als unternehmerische Organisationsentscheidung, die zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen kann, die Vergabe von bisher in dem Betrieb des Arbeitgebers durchgeführten Arbeiten an ein anderes Unternehmen und die daraus resultierende Schließung einer Abteilung in Betracht. Eine Kündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt, wenn der Bedarf an einer Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers in dem Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist und der Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz in diesem Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, § 1 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 KSchG.

Der Arbeitgeber hatte allerdings nicht dargelegt, dass durch den Dienstleistungsvertrag mit der Orthopädie D. die Aufgaben der zu schließenden physiotherapeutischen Abteilung für die Lizenzmannschaft zur selbstständigen Wahrnehmung ohne Eingliederung in den Betriebsablauf und ohne Unterwerfung unter die Weisungen des Arbeitgebers übertragen worden sind. Vielmehr hatte sich der Arbeitgeber ein umfangreiches Weisungsrecht gegenüber D. vorbehalten. Auch die angebliche organisatorische Umsetzung einer Leistungsverdichtung hatte der Arbeitgeber nicht näher erläutert.

Die Kündigung war auch wegen der nicht ordnungsgemäß erfolgten Betriebsratsanhörung gemäß § 102 Abs. 1, Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unwirksam. Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat nicht hinreichend und vollständig über die betriebsbedingten Kündigungsgründe informiert. Der für die Kündigung maßgebliche Sachverhalt muss vom Arbeitgeber so genau und umfassend beschrieben werden, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich ein Bild davon zu machen. Zwar hatte der Arbeitgeber zu den betriebsbedingten Kündigungsgründen ausgeführt, dass die Stelle Physiotherapeuten für den Bereich Lizenz ab der kommenden Saison nicht mehr besetzt wird und entfällt. Ein Hinweis auf die Fremdvergabe der Tätigkeit war jedoch unterblieben.

Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 22.10.2024

Aktenzeichen: 1 Ca 807/24