Berücksichtigung von Urlaubsstunden bei Mehrarbeitszuschlägen nach dem Manteltarifvertrag Zeitarbeit
Für das Erreichen des Schwellenwertes, ab dem nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Zeitarbeit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Mehrarbeitszuschläge besteht, sind nicht nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern auch genommene Urlaubsstunden zu berücksichtigen.
Ein Mitarbeiter war bei seinem Arbeitgeber als Leiharbeitnehmer in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn im Jahr 2017 von 12,18 EUR beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis galt aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit in der Fassung vom 17.09.2013 (MTV). § 4.2.1. MTV bestimmt, dass Mehrarbeitszuschläge i.H.v. 25% für Zeiten gezahlt werden, die im jeweiligen Kalendermonat über eine bestimmte Zahl geleisteter Stunden hinausgehen. Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Mitarbeiter 121,75 Stunden und nahm 10 Tage Urlaub in Anspruch, die der Arbeitgeber mit 84,7 Stunden abrechnete. Mehrarbeitszuschläge leistete der Arbeitgeber für diesen Monat nicht. Der Mitarbeiter verlangte Mehrarbeitszuschläge für die über 184 Stunden hinausgehenden Stunden und meinte, die für den Urlaub abgerechneten Stunden seien einzubeziehen.
Arbeitsgericht und und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Hiergegen wandte sich der Mitarbeiter mit seiner Revision zum Bundesarbeitsgericht. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts entschied der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 13.01.2022 (Az. C-514/20), dass das Unionsrecht (Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG) einer tariflichen Regelung entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt werden, nicht aber die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch nimmt. Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung hatte die Revision des Mitarbeiters nunmehr Erfolg.
Die tarifliche Regelung des § 4.2.1 MTV muss bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden bei der Frage mitzählen, ob der Schwellenwert, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind, überschritten wurde. Anderenfalls wäre die Regelung geeignet, den Arbeitnehmer von der Inanspruchnahme seines gesetzlichen Mindesturlaubs abzuhalten, was mit § 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) in seinem unionsrechtskonformen Verständnis nicht vereinbar wäre.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.11.2022
Aktenzeichen: 10 AZR 210/19