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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Benachteiligung bei Überstundenzuschlägen: Teilzeitkräften steht höhere Vergütung zu

Benachteiligung bei Überstundenzuschlägen: Teilzeitkräften steht höhere Vergütung zu

Eine tarifvertragliche Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, behandelt Teilzeitkräfte schlechter als Vollzeitbeschäftigte. Sie verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung, wenn die in ihr liegende Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Fehlen diese Gründe, liegt regelmäßig auch ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vor, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind.

Eine Mitarbeiterin ist als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 40% eines Vollzeitbeschäftigten bei einem ambulanten Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmern beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der zwischen dem Arbeitgeber und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sind demnach mit einem Zuschlag von 30% zuschlagspflichtig Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeitgewährung ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vorgesehen.

Das Arbeitszeitkonto der Mitarbeiterin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Arbeitgeber hatte der Mitarbeiterin für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV weder Überstundenzuschläge gezahlt noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen. Die Mitarbeiterin verlangte, ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben und begehrte die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Höhe eines Vierteljahresverdienstes. Sie war der Ansicht, die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift zuerkannt und hinsichtlich der begehrten Entschädigung die Klageabweisung bestätigt. Hiergegen war Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt worden. Mit Beschluss vom 28.10.2021 (Az. 8 AZR 370/20 (A) – BAGE 176, 117) hatte das Bundesarbeitsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht. Dies hatte der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 29.07.2024 (Az. C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V.]) getan. Die Revision der Mitarebeiterin war infolgedessen teilweise erfolgreich.

Der Mitarbeiterin war – in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht – die verlangte Zeitgutschrift zuzusprechen und darüber hinaus auch eine Entschädigung in Höhe von 250,00 EUR zuzuerkennen.

Auf der Grundlage der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs musste das Bundesarbeitsgericht davon ausgehen, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist, als er bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vorsieht. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte das Bundesarbeitsgericht nicht erkennen. Die sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ergebende Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Überstundenzuschlagsregelung führte zu einem Anspruch der Mitarbeiterin auf die eingeklagte weitere Zeitgutschrift.

Außerdem war ihr eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuzuerkennen. Denn durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung hatte die Mitarbeiterin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren. In der Gruppe der beim Arbeitgeber in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, sind zu mehr als 90% Frauen vertreten. Als Entschädigung war ein Betrag in Höhe von 250,00 EUR festzusetzen. Dieser war als erforderlich, aber auch ausreichend anzusehen, um einerseits den der Mitarbeiterin durch die mittelbare Geschlechtsbenachteiligung entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen und andererseits gegenüber dem Arbeitgeber die gebotene abschreckende Wirkung zu entfalten.

Das Bundesarbeitsgericht hat auch über die weitgehend parallel gelagerte Rechtssache mit dem Aktenzeichen 8 AZR 372/20 entschieden und der dortigen Klägerin ebenfalls die verlangte Zeitgutschrift und eine Entschädigung in Höhe von 250,00 EUR zugesprochen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.12.2024

Aktenzeichen: 8 AZR 370/20