Rechtsanwalt Dr. von Harbou

Vertrauen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Geben Sie mir die Gelegenheit, Sie von mir und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Gerne vereinbare ich mit Ihnen einen ersten Termin, in dem wir Ihr Anliegen besprechen und ich Sie anschließend über die rechtlichen Möglichkeiten, Erfolgsaussichten, Risiken und Kosten informiere.

Geschäftszeiten

Montag - Freitag 09:00 -18:00 Uhr
Samstag - Sonntag Geschlossen

Aktueller Rechtsblog

Top
Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Arbeitnehmerüberlassung: Voraussetzungen des sog. Konzernprivilegs

Arbeitnehmerüberlassung: Voraussetzungen des sog. Konzernprivilegs

Das Rechtsfolgensystem der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auf die Überlassung zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 Aktiengesetz (AktG) nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden ist (sog. Konzernprivileg). Die Konjunktion „und“ beschreibt ein alternatives Verhältnis der Merkmale Einstellung und Beschäftigung. Das Konzernprivileg ist danach bereits ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt wird.

Ein Mitarbeiter war von Juli 2008 bis August 2020 bei der Firma S GmbH als Sitzefertiger angestellt. Seine vertraglich geschuldete Tätigkeit verrichtete er auf dem Werksgelände eines Unternehmens der Automobilindustrie. Das Automobilunternehmen und die S GmbH waren während der Beschäftigungsdauer des Mitarbeiters konzernverbundene Unternehmen.

Der Mitarbeiter war der Ansicht, zwischen ihm und dem Automobilunternehmen sei ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, weil er bei diesem Unternehmen im Rahmen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden sei. Die vertragliche Zusammenarbeit zwischen dem Automobilunternehmen und der S GmbH sei nicht dienst- oder werkvertraglicher Natur gewesen, sondern als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren. Außerdem behauptete der Mitarbeiter, auf dem Gelände des Automobilunternehmens in einen von diesem organisierten Arbeitsprozess eingegliedert gewesen zu sein und seine Weisungen von den Angestellten des Automobilunternehmens erhalten zu haben. Das Automobilunternehmen bestritt dies und meinte, der Mitarbeiter sei nicht im Wege der Arbeitnehmerüberlassung, sondern im Rahmen eines Werkvertrags mit der S-GmbH auf dem Werksgelände des Automobilunternehmens tätig gewesen.

Der Mitarbeiter klagte beim Arbeitsgericht auf Feststellung, dass zwischen ihm und dem Automobilunternehmen seit Mai 2017, hilfsweise seit Mai 2018 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen war. Hilfsweise für den Fall, dass dem ersten Antrag stattgegeben wird, beantragte er die Verurteilung des Automobilunternehmens, ihn als Sitzefertiger zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Mitarbeiters gegen das Urteil wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen mit der Begründung, selbst wenn es sich um Arbeitnehmerüberlassung gehandelt habe, sei wegen des Konzernprivilegs gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Mitarbeiter und dem Automobilunternehmen entstanden. Das Konzernprivileg besagt, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf die Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen nicht anzuwenden ist, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden ist. Das Landesarbeitsgericht meinte, der Mitarbeiter sei nicht zum Zweck der Überlassung an ein anderes Unternehmen eingestellt worden, so dass hier das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wegen des Konzernprivilegs nicht gelte.

Auf die Revision des Mitarbeiters hat das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Die Annahme des Landesarbeitsgericht, ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Mitarbeiter und dem Automobilunternehmen sei bereits deshalb nicht gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 iVm. § 9 Abs. 1 AÜG zustande gekommen, weil diese Normen aufgrund der Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG (sog. Konzernprivileg) keine Anwendung fänden, hielt der revisionsrechtlichen Prüfung durch das Bundesarbeitsgericht nicht stand.

Das Rechtsfolgensystem der §§ 10 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 AÜG ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG auf die Überlassung zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt worden ist (sog. Konzernprivileg). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet das Konzernprivileg auch dann keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zwar nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt, wohl aber zum Zweck der Überlassung beschäftigt wird. Das ergibt sich aus einer insbesondere dem Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechenden Auslegung der Vorschrift, der das Wortverständnis nicht entgegensteht.

Zwar spricht der Wortlaut der Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG („eingestellt und beschäftigt“) auf den ersten Blick dafür, dass das Konzernprivileg nur dann nicht zur Anwendung gelangt, wenn sowohl die Einstellung als auch die Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgt. Entgegen den Ausführungen des Landesarberitsgericht zwingt die Verwendung der Konjunktion „und“ jedoch nicht zu der Annahme, dass das Konzernprivileg nur dann ausgeschlossen ist, wenn beide Merkmale kumulativ vorliegen. Die Konjunktion „und“ kann auch eine Aufzählung oder Aneinanderreihung ausdrücken. Sie bedingt nicht immer und zwingend ein kumulatives Verständnis (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.06.2011, Az. 7 AZR 774/09).

Das Konzernprivileg ist danach bereits ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt wird. Die zwingenden Vorgaben des AÜG können nicht dadurch umgangen werden, dass der Arbeitsvertrag nach der Einstellung geändert und der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung als Leiharbeitnehmer beschäftigt wird.

Im weiteren Verfahren wird das Landesarbeitsgerichts somit zunächst prüfen müssen, ob der Mitarbeiter bei dem Automobilunternehmen als Erfüllungsgehilfe der S GmbH im Rahmen eines Werkvertrags eingesetzt oder aber als Leiharbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung überlassen worden war.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.11.2024

Aktenzeichen: 9 AZR 13/24