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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Anspruch auf Entgeltzuschläge durch betriebliche Übung

Anspruch auf Entgeltzuschläge durch betriebliche Übung

Der Arbeitnehmer darf einer vom Betriebsübernehmer eingeführten Veränderung der Bezeichnung eines Zuschlags in den regelmäßigen Entgeltabrechnungen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimessen.

Ein Rettungssanitäter verlangte von seiner Arbeitgeberin die Zahlung eines ihm ab 01.02.2021 nicht mehr gewährten monatlichen Gehaltszuschlags. Seit 2010 hatte die ursprüngliche Arbeitgeberin dem Mitarbeiter für die elfte und zwölfte Stunde des Dienstes als Rettungssanitäter einen Zuschlag in Höhe von 65% des Überstundensatzes. Diesen Zuschlag hatte sie in den Lohn-/Gehaltsabrechnungen als „Bereitschaft AVR“ ausgewiesen. Zum 01.01.2015 ging das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters durch einen Betriebsübergang auf eine neue Arbeitgeberin über. Diese zahlte den Lohnzuschlag für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste unverändert weiter, wobei sie den Zuschlag nunmehr jeweils im Folgemonat für den vorausgegangenen Monat abrechnete und ihn den Entgeltabrechnungen unter dem Abschnitt „Zeitbezüge:“ jeweils als „Bereitschaftszuschlag 65%“ auswies. Ab Februar 2021 stellte die Arbeitgeberin die Zahlung des Zuschlags für die elfte und zwölfte Stunde der von dem Mitarbeiter verrichteten Dienste ein. Dies erläuterte sie wie folgt:

„Im Rahmen einer Software-Umstellung ist aufgefallen, dass versehentlich die Stunden einer Schicht, die 10 Stunden übersteigen, mit einer Bewertung von 65% zur Auszahlung gebracht worden. Eine 12-Stunden-Schicht wurde also mit 10 Stunden ins Arbeitszeitkonto gerechnet und 2 Stunden wurden mit 65 % multipliziert und ausgezahlt. Diese Vorgehensweise deckt sich mit keiner Regelung ihres Tarifwerks.“

Der Mitarbeiter hatte vorgetragen, zwei Stunden seiner 12-Stunden-Schichten seien als Bereitschaftszeit gezählt und seit vielen Jahren abweichend von den vertraglich vereinbarten Richtlinien für Arbeitsverträge (AVR) mit 65% des Überstundensatzes vergütet worden. Die Arbeitgeberin meinte, der Mitarbeiter habe keinen Bereitschaftsdienst geleistet, sondern in seine Arbeitszeit falle in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft. Für Arbeitsbereitschaft sähen die Regelungen der AVR keinen Bereitschaftszuschlag vor. Die bisherigen Zahlungen der Arbeitgeberin hätten auf der (falschen) Annahme beruht, sie sei aufgrund der AVR dazu verpflichtet. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung scheide aus, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers aus der Sicht des Arbeitnehmers ausschließlich als Erfüllung eines vermeintlichen tarifvertraglichen Anspruchs darstelle.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage auf Nachzahlung der Zuschläge abgewiesen. Die Berufung des Mitarbeiters vor dem Landesarbeitsgericht hatte Erfolg. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Das Landesarbeitsgericht hielt die Klage in vollem Umfang für begründet. Der Mitarbeiter hatte einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung der begehrten Zuschläge aus § 611a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wobei der vertragliche Anspruch durch konkludentes Verhalten der Parteien nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung entstanden war.

Eine dauerhafte Verpflichtung des Arbeitgebers kann sich aus betrieblicher Übung, mithin einem Verhalten mit Erklärungswert, ergeben. Unter betrieblicher Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Erklärende einen Verpflichtungswillen hatte, sondern ob der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gemäß der §§ 133, 157 BGB dahin verstehen konnte und durfte, der Arbeitgeber wolle sich zu einer über seine gesetzlichen, tarifvertraglichen oder vertraglichen Pflichten hinausgehende Leistung verpflichten. Da es auf den Empfängerhorizont ankommt, kann eine betriebliche Übung dann nicht entstehen, wenn der Arbeitgeber irrtümlich meinte, aufgrund einer Norm oder einer vertraglichen Abrede zur Zahlung verpflichtet zu sein und der Arbeitnehmer die Grundlagen des Irrtums erkannte. Dabei trägt nicht der Arbeitgeber die Darlegungslast dafür, dass er für den Arbeitnehmer erkennbar irrtümlich glaubte, die betreffenden Leistungen in Erfüllung tarifvertraglicher oder sonstiger Rechtspflichten erbringen zu müssen. Vielmehr ist es Sache des klagenden Arbeitnehmers, die Anspruchsvoraussetzungen darzulegen. Dazu gehört im Falle der betrieblichen Übung auch die Darlegung, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus Sicht des Empfängers ausreichende Anhaltspunkte dafür bot, der Arbeitgeber wolle Zahlungen erbringen, ohne hierzu bereits aus anderen Gründen – etwa aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung verpflichtet zu sein (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 19.02.2020, Az. 5 AZR 189/18).

Nach diesen Grundsätzen war durch das von dem Mitarbeiter dargelegte Verhalten der Arbeitgeberin nach dem 01.01.2015 ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Zulagen für die elfte und zwölfte Stunde der 12-Stunden-Dienste im Wege der betriebliche Übung entstanden. Auf die Frage, ob ein entsprechender Anspruch bereits im Verhältnis zwischen der ursprünglichen Arbeitgeberin und dem Mitarbeiter entstanden war, kam es dabei nicht an. Der Mitarbeiter durfte angesichts der veränderten Durchführung der Entgeltabrechnung und der andersartigen Mitteilung des Zahlungsgrundes sowie der ununterbrochenen Gewährung des Zuschlags seit dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die neue Arbeitgeberin am 01.01.2015 nach Treu und Glauben davon ausgehen, die neue Arbeitgeberin wolle den „Bereitschaftszuschlag 65 %“ als freiwillige Leistung gewähren. In den Lohnabrechnungen der neuen Arbeitgeberin wurde im Gegensatz zu denjenigen der ursprünglichen Arbeitgeberin nicht mehr auf die bei Beginn des Arbeitsverhältnisses vereinbarten AVR Bezug genommen. Der Bezug zu früheren vertraglichen Regelungen, die nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 im Falle des Betriebsübergangs weitergelten, oder zu kollektiven Regelungen, die nach § 613 a Abs.1 Satz 2 BGB bei einem Betriebsübergang in arbeitsvertragliche Verpflichtungen transformiert werden, ist in den von der neuen Arbeitgeberin erteilten Entgeltabrechnungen nicht mehr erkennbar. Zweck der Entgeltabrechnung i.S.d. § 108 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) ist die Herstellung von Transparenz; der Arbeitnehmer soll erkennen können, warum er gerade den ausgezahlten Betrag erhält. Der Mitarbeiter durfte deshalb darauf vertrauen, dass die Entgeltabrechnungen richtig und vollständig sind. Aus seiner Perspektive konnte er mangels Bezugnahme auf die arbeitsvertraglich vereinbarten AVR davon ausgehen, dass die neue Arbeitgeberin ab 01.01.2015 Bereitschaftszuschläge in der geltend gemachten Höhe für die elfte und zwölfte Stunde der Dienste als freiwillige Leistung zahlen wollte. Damit entstand der Anspruch auf die streitgegenständlichen Leistungen aufgrund betrieblicher Übung.

Der Mitarbeiter hatte schließlich auch Anspruch auf die Feststellung der Verpflichtung der Arbeitgeberin, die streitgegenständlichen Zuschläge während des bestehenden Arbeitsverhältnisses auch in Zukunft zu entrichten.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen vom 30.12.2022

Aktenzeichen: 1 Sa 87/22