Abfindungsregelung für rentennahe Arbeitnehmer in einem Sozialplan
Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor dem Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen.
Ein Mitarbeiter war seit 1995 bei als Knüpfer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.494 EUR bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Anfang 2021 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.08.2021. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht rechtskräftig fest.
Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat hatten am 13.01.2021 einen Sozialplan zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile erstellt.
„§ 3 Abfindungen“ des Sozialplanes lautet auszugsweise:
(1) Erfasste Arbeitnehmer erhalten zum Ausgleich des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Brutto-Abfindung gemäß den nachfolgenden Regelungen, soweit nachfolgend nicht etwas Abweichendes geregelt ist.
(2) Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:
„Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsverdienst x 0,6 x Altersfaktor Die Betriebspartner vereinbaren folgende Altersfaktoren:
– bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres: 1,0
– ab Vollendung des 62. Lebensjahres: 0,25 Bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres beträgt die Abfindung jedoch höchstens EUR 70.000,00 (brutto), ab Vollendung des 62. Lebensjahres beträgt die Abfindung höchstens EUR 35.000,00 (brutto).
Darüber hinausgehende Beträge werden gekappt (Höchstbeträge).“
Der Sozialplan trat am 13.01.2021 in Kraft.
Nachdem der Mitarbeiter zum Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet hatte, errechnete die Arbeitgeberin dessen Abfindung mit einem Altersfaktor 0,25. Dies ergab eine Abfindung i.H.v. 9.249 EUR. Die Regelaltersrente kann der Mitarbeiter ab 2025 beanspruchen. Laut der von ihm selbst vorgelegten Rentenauskunft weist der Mitarbeiter eine Wartezeit von 516 Monaten und damit 43 Jahren auf und kann als langjährig Versicherter eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr, d.h. ab 2022 beanspruchen.
Der Mitarbeiter war der Ansicht, dass die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes altersdiskriminierend und auch nicht nach § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sei. Es bestünde keine rechtliche Bewertungsgrundlage, dass der Mitarbeiter, wenn er zum Beispiel am 01.02.1959 geboren wäre, mehr soziale Absicherung bedurft hätte, als mit seinem Geburtsdatum 16.12.1958. Infolgedessen forderte er eine Abfindung i.H.v. 36.996 EUR.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.
Der Mitarbeiter hat keinen Anspruch auf eine 9.249 EUR brutto übersteigende Abfindung aus dem Sozialplan vom 13.01.2021. Die Regelung in § 3 Abs. 2 des Sozialplanes, die für Arbeitnehmer, die am Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben, einen Altersfaktor von 0,25 anstatt von 1,0 vorsieht, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 AGG dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen. Die vorliegende Kürzung der Abfindung auf ¼ für Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, bewirkt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Die Benachteiligung ist jedoch nach § 10 Satz 3 Nr. 6 2. Alt. i.V.m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt. Danach können die Betriebsparteien u.a. Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausschließen, weil diese gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld I rentenberechtigt sind. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit dieser Regelung das im Allgemeininteresse liegende sozialpolitische Ziel, den Betriebsparteien zu ermöglichen, Sozialplanleistungen an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, die durch eine Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren. Die dem Mitarbeiter durch den Wegfall des Arbeitsentgeltes entstehenden wirtschaftlichen Nachteile werden während des Arbeitslosengeldbezugs durch die Abfindung i.H.v. 9.249 EUR zumindest substantiell ausgeglichen. Danach gilt der Mitarbeiter durch die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente als wirtschaftlich abgesichert. Es bestand aufgrund des Gestaltungsspielraums, keine Verpflichtung der Sozialpartner zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der Gruppe der rentennahen Arbeitnehmer zwischen Arbeitnehmern, die nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen können, und Arbeitnehmern mit Anspruch auf Regelaltersrente.
Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen und wird unter dem Aktenzeichen 1 AZR 15/23 geführt.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 19.01.2023
Aktenzeichen: 8 Sa 164 22