Einführung von Kurzarbeit durch Änderungskündigung
Kann man Arbeitnehmer, die sich mit der Einführung von Kurzarbeit nicht einverstanden erklären, im Wege einer Änderungskündigung quasi in die Kurzarbeit zwingen? Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 22.10.2020 (Az. 11 Ca 2950/20) die – soweit ersichtlich – erste Gerichtsentscheidung zu dieser Frage getroffen.
Der Fall:
Eine Mitarbeiterin war seit 2011 bei einem betriebsratslosen Leiharbeitsunternehmen, das regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, tätig. Die flächendeckenden Betriebsschließungen infolge der Sars-CoV-2-Pandemie im März 2020 führten bei dem Arbeitgeber zu einem erheblichen Arbeitsausfall, den dieser bei der Agentur für Arbeit anzeigte und sodann bis zum Jahresende bewilligte Kurzarbeit einführte. Die Mitarbeiterin, seit Anfang April bis August 2020 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, wurde am 09.04.2020 telefonisch um ihre Zustimmung zur Einführung von Kurzarbeit gebeten. Sie lehnte eine Unterzeichnung einer Änderungsvereinbarung ab. Am 22.04.2020 sprach der Arbeitgeber eine fristlose, hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 01.08.2020 wirkende Änderungskündigung aus. Mit der Änderungskündigung sollte die Arbeit-geberin berechtigt werden, für die Zeit vom 18.05.2020 bis voraussichtlich 31.12.2020 Kurzarbeit bei Vorliegen eines erheblichen Arbeitsunfalls und der weiteren Voraussetzungen der §§ 95 ff. SGB III einzuführen. Beginn und Ende der Kurzarbeit sowie die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit sollte der Arbeitgeber unter Wahrung einer Ankündigungsfrist von drei Wochen in Textform mitteilen dürfen, wobei die Verteilung der im Zeitraum der Kurzarbeit verbleibenden Arbeitszeit auf die einzelnen Kalendertage sowie die Lage der täglichen Arbeitszeit sich nach den betrieblichen Erfordernissen und arbeitgeberseitigen Weisungen richten sollte. Hilfsweise sollten die Änderungen qua ordentlicher Änderungskündigung zum 01.08.2020 in Kraft treten. Die Mitarbeiterin nahm das Angebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und erhob Änderungskündigungsschutzklage.
Die Entscheidung:
Das Gericht gab dem Arbeitgeber Recht und erklärte sogar die fristlose betriebsbedingte Änderungskündigung für wirksam. Entscheidend war, dass die zugrundeliegende Organisationsentscheidung des Arbeitgebers die vorgeschlagene Änderung des Arbeitsvertrags zwingend erforderlich machte und nicht ohne oder mit weniger einschneidenden Änderungen durchsetzbar war. Nach Meinung des Gericht waren hier nicht die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten extrem hohen Anforderungen für eine Änderungskündigung zur reinen Entgeltreduzierung anwendbar, da nicht in das Gegenseitigkeitsverhältnis von Arbeitsleistung und Vergütung und ein-gegriffen wird und die Kurzarbeit nur auf vorübergehende Dauer angelegt ist. Unerheblich war auch, dass die Mitarbeiterin im Zeitpunkt der Änderungskündigung arbeitsunfähig war und damit insoweit die Voraussetzungen zum Bezug von Kurzarbeitergeld gem. § 98 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 SGB III temporär nicht vorlagen. Die Änderungskündigung war schließlich auch verhältnismäßig, da sie eine zeitliche Vorlauffrist vorsah und die Kurzarbeit zeitlich begrenzt gewesen war.
Hinweis für die Praxis:
Die Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit sind bislang noch nicht höchstrichterlich vom Bundesarbeitsgericht geklärt. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung muss daher beobachtet werden.
Essentiell ist in jedem Fall die sorgfältige Formulierung der Änderungskündigung, die nur zwingende Änderungen herbeiführen darf. Die Formulierung muss zudem auch bestimmt genug sein. Bei der Gestaltung von Kurzarbeitsvereinbarungen legt die Rechtsprechung hier ein besonderes Augenmerk auf die Festlegung von Beginn und Dauer der Kurzarbeit sowie der Lage und Verteilung der Arbeitszeit (BAG, Urt. v. 18.11.2015, Az. 5 AZR 491/14).