Gesetzlicher Kündigungsschutz für einen ehemaligen Geschäftsführer?
Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt der gesetzliche Kündigungsschutz nicht für Organvertreter von jurstischen Personen, wie etwa den GmbH-Geschäftsführer. Diese Ausnahmebestimmung kommt aber nicht zum Tragen, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die organschaftliche Stellung eines Arbeitnehmers nicht mehr bestanden hat, sich der Arbeitgeber in dem Arbeitsvertrag, der als einzige Vertragsgrundlage der Bestellung des Arbeitnehmers als Geschäftsführer zugrunde gelegen hat, eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers vorbehalten hat und zwischen Entfall der organschaftlichen Stellung und der Kündigung mehrere Wochen vergangen sind, in denen der Arbeitgeber nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gesucht hat.
Ein 53-jährige Mitarbeiter und Vater zweier unterhaltspflichtiger Kinder war seit April 2021 als „Geschäftsführer (Vice President)“ bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Am 08.11.2022 teilte sein Vorgesetzter ihm mit, dass ihn die Arbeitgeberin als Geschäftsführer abberufen werde. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 01.02.2023 wurde die Bestellung des Mitarbeiters als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung widerrufen. Am 13.02.2023 wurde sein Nachfolger als Geschäftsführer der Arbeitgeberin im Handelsregister eingetragen.
Die Arbeitgeberin suchte danach für den Mitarbeiter eine gleichwertige Stelle, fand allerdings keine. Der Mitarbeiter wurde fortan im Organigramm als seinem Nachfolger unterstellter „Special Project Manager“ geführt. Er nahm aber keine Aufgaben oder Tätigkeiten als „Special Project Manager“ wahr. Am 28.06.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 31.12.2023, vorsorglich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Mitarbeiter wehrte sich mit einer Klage beim Arbeitsgericht gegen die Kündigung.
Das Arbeitsgericht hatte entschieden, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Arbeitgeberin vom 28.06.2023 zum 31.01.2024 geendet hatte. Die von der Arbeitgeberin ausgesprochene Kündigung sei, auch wenn man das Vertragsverhältnis der Parteien als Arbeitsverhältnis ansehe, nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil das KSchG im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keine Anwendung finde.
Auf die Berufung des Mitarbeiters hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28.06.2023 nicht aufgelöst worden war.
Auch, wenn man die formale Wirksamkeit der Kündigung zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt, war die Kündigung jedenfalls mangels sozialer Rechtfertigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam.
Die Kündigung des Mitarbeiters durfte der sozialen Rechtfertigung. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes fanden Anwendung. Die Anwendung war nicht gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ausgeschlossen gewesen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts reicht es für das Eingreifen der Negativfiktion nach § 14 Abs. 1 KSchG nicht aus, dass schuldrechtliche Grundlage der Bestellung des Mitarbeiters als Geschäftsführer der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag vom 31.03.2021 war. Maßgeblich für das Eingreifen der Negativfiktion ist viel mehr, ob die Organstellung im Zeitpunkt der Kündigung noch bestand oder nicht. Und dies war hier nicht der Fall.
Die Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die organschaftliche Stellung des Arbeitnehmers nicht mehr bestanden hat, sich der Arbeitgeber in dem Arbeitsvertrag, der als einzige Vertragsgrundlage der Bestellung des Arbeitnehmers als Geschäftsführer zugrunde gelegen hat, eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers vorbehalten hat und zwischen Entfall der organschaftlichen Stellung und der Kündigung mehrere Wochen vergangen sind, in denen der Arbeitgeber nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer gesucht hat.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen das Urteil zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Ob und unter welchen Umständen ein zunächst abberufener und später gekündigter Geschäftsführer, der aufgrund eines Arbeitsvertrags als Geschäftsführer tätig war, vor dem Hintergrund der Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG allgemeinen Kündigungsschutz genießt, stellt eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar. Die Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Im seinem Urteil vom 21.09.2017 (Az. 2 AZR 865/16) hatte das Bundesarbeitsgericht die dort nicht entscheidungserhebliche Frage ausdrücklich offengelassen. Auch in der Entscheidung vom 20.07.2023 (Az. 6 AZR 228/22) ließ das Bundesarbeitsgericht diese dort ebenfalls nicht entscheidungserhebliche Rechtsfrage offen. Infolgedessen war für die Arbeitgeberin die Revision zuzulassen.
Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 28.02.2025
Aktenzeichen: 14 SLa 578/24