Unwirksame Vertragsklausel zur Erstattung von Studienkosten wegen Ablehnung eines Beschäftigungsangebots
„6. Der/die Studierende verpflichtet sich, dem Unternehmen die Studienbeiträge zu erstatten, wenn er/sie entweder den staatlichen Abschluss endgültig nicht erreicht oder bei erfolgreichem Abschluss ein ihm/ihr angebotenes Anstellungsverhältnis nicht antritt.“
Nachdem die Studentin im Juli 2022 die im Studium integrierte staatliche Prüfung zur Physiotherapeutin abgelegt hatte, schloss sie mit dem Praxisbetreiber einen befristeten Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 Stunden für den Zeitraum vom 01.09.2022 bis zum 28.02.2023. Zu diesem Datum endete auch der letzte Studienabschnitt, in dem die Bachelorarbeit anzufertigen war. Im Januar 2023 unterbreitete der Praxisbetreiber der Studentin ein konkretes Beschäftigungsangebot im Anschluss an das Studium. Die Studentin kündigte mit Schreiben vom 30.o1.2023 das befristete Teilzeitarbeitsverhältnis fristgemäß zum 14.02.2023. Daraufhin forderte der Praxisbetreiber die Studentin auf, die von ihm an die Fachhochschule gezahlten Studiengebühren in Höhe von insgesamt rund 11.000 EUR zu erstatten. Die Studentin beendete das Studium wie vorgesehen mit dem Bachelorabschluss, verweigerte aber die Erstattung der Studiengebühren an den Praxisbetreiber.
Der Praxisbetreiber war der Ansicht, dass die Studentin aus der Vereinbarung zur Studienfinanzierung verpflichtet sei, die gezahlten Studienkosten in voller Höhe zu erstatten. Er habe der Studentin bereits im Mai 2022 einen Arbeitsvertrag mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden beginnend ab 01.09.2022 bei einem Monatsgehalt von 3.000 EUR brutto angeboten. Die Studentin habe jedoch Bedenken gehabt, ob sie im Falle einer Vollzeitbeschäftigung ausreichend Zeit habe, die Bachelorarbeit rechtzeitig fertigzustellen. Deshalb habe man sich auf eine Teilzeitbeschäftigung verständigt. Die Studentin vertrat hingegen die Auffassung, dass die Rückzahlungsvereinbarung unwirksam sei, da sie hierdurch unangemessen benachteiligt werde. Die Vereinbarung sehe keine Ausnahme für den Fall einer Kündigung durch die Studentin aus gesundheitsbedingten Gründen vor. Der Praxisbetreiber klagte gegen die Studentin auf Erstattung der Studiengebühren.
Nach Ziffer 6 der Vereibarung verpflichtete sich die Studentin, dem Praxisbetreiber die Studienbeiträge zu erstatten, wenn sie entweder den staatlichen Abschluss endgültig nicht erreicht oder – bei erfolgreichem Abschluss – ein ihr (spätestens drei Monate vor Beendigung des Studiums unter den Vorgaben der Ziffer 8 Buchst. c) angebotenes Anstellungsverhältnis nicht antritt. Bei den Klauseln des Vertrags handelt es sich rechtlich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) des Praxisbetreibers. Bestimmungen in AGB sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen. Vielmehr muss nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Zahlungsverpflichtungen des Arbeitnehmers, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, können im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen.
Eine Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es der Arbeitnehmer selbst in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen. Hätte der Arbeitnehmer die in seine Aus- und Weiterbildung investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs- und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten einer fehlgeschlagenen Investition des Arbeitgebers belastet. Sieht eine Vertragsklausel auch für einen solchen Fall eine Rückzahlungspflicht vor, berücksichtigt sie entgegen § 307 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht die wechselseitigen Interessen beider Vertragspartner, sondern nur diejenigen des Arbeitgebers
Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers ist nicht nur in Fällen anzunehmen, in denen es der Arbeitnehmer nicht in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen, weil er durch Gründe in der Sphäre des Arbeitgebers – z.B. durch ein vertragswidriges Verhalten – zu einer Kündigung veranlasst oder mitveranlasst wird. Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie auch den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet dauerhaft nicht möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll. Auch unter dieser Voraussetzung ist eine Bindung des Arbeitnehmers an das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Rückzahlungsverpflichtung von Fortbildungskosten weder durch billigenswerte Interessen des Arbeitgebers noch durch gleichwertige Vorteile des Arbeitnehmers gerechtfertigt.
Entsprechend den Wertungen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht zu Rückzahlungsklauseln aufgrund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers müssen jedenfalls praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Nichtablegung der Prüfung nicht in der Verantwortungssphäre des Vertragspartners liegen, von der Rückzahlungspflicht ausgenommen werden. Ebenso wenig wie eine Rückzahlungspflicht bei einem Arbeitnehmer allein an den Umstand einer Eigenkündigung innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist geknüpft werden kann, ist es zulässig, die Rückzahlung von Studienkosten ausschließlich von der Ablehnung des Arbeitsangebots abhängig zu machen, ohne die Gründe hierfür zu berücksichtigen. Nach Ziffer 6 der Studiumfinanzierungsvereinbarung genügt allein der Umstand, dass ein (rechtzeitig) angebotenes Anstellungsverhältnis nicht angetreten wird, um die Rückzahlungspflicht auszulösen. Die Studienkosten sind auch dann zurückzuzahlen, wenn die geförderte Studentin das Beschäftigungsangebot aus Gründen ablehnt bzw. nicht annehmen kann, die nicht in ihrer Verantwortungssphäre liegen, z.B. aus gesundheitlichen Gründen.