Kein besonderer Weiterbeschäftigungsanspruch nach verhaltensbedingter Kündigung
Der Arbeitgeber muss einen gekündigten Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat und der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß aus einem gesetzlich geregelten Widerspruchsgrund widersprochen hat. Der Widerspruchsgrund gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) regelt, dass der Betriebsrat der Kündigung eines Arbeitnehmers widersprechen kann, wenn der zu entlassende Arbeitnehmer nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden könnte. Es fehlt allerdings an einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber überzeugend darlegt, dass der verhaltensbedingte Kündigungsgrund durch Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen nicht entfallen kann.
Ein in einer festen Beziehung lebender und gegenüber zwei Kinder unterhaltsverpflichteter Mitarbeiter war seit 2007 bei einer Arbeitgeberin im Außendienst beschäftigt und verdiente zuletzt rund 7.278 EUR brutto im Monat. Am 01.11.2023 hatte ihm die Arbeitgeberin eine Abmahnung erteilt. Es folgte zunächst eine Gegendarstellung des Mitarbeiters und im Dezember 2023 ein Performance-Gespräch. Im Zuge dessen war dem Mitarbeiter der Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten worden, der eine Abfindung in Höhe von 100.000 EUR vorsah. Der Mitarbeiter hatte dieses Angebot nicht angenommen.
Am 27.03.2024 hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des mit dem Mitarbeiter bestehenden Arbeitsverhältnisses unter Hinweis auf verhaltensbedingten Gründe an. Am 03.04.2024 widersprach der Betriebsrat der Kündigung. Die Begründung wurde auf den Widerspruchsgrund gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG gestützt. Danach kann der Betriebsrat der Kündigung widersprechen, wenn der zu entlassende Arbeitnehmer nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden könnte. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 10.04.2024 dennoch ordentlich mit Wirkung zum 31.10.2024. Der Mitarbeiter erhob Kündigungsschutzklage, die beim Arbeitsgericht anhängig ist. Kammertermin wurde auf den 29.o1.2025 bestimmt.
Mit Schreiben vom 09.10.2024 verlangte der Mitarbeiter seine Weiterbeschäftigung über den 31.10.2024 hinaus zu unveränderten Bedingungen, was die Arbeitgeberin ablehnte. Daraufhin beantragte der Mitarbeiter beim Arbeitsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung, gerichtet auf Weiterbeschäftiugung über den 31.10.2024 hinaus. Er war der Ansicht, der Widerspruch des Betriebsrates sei ordnungsgemäß erfolgt, so dass er über das Ende der Kündigungsfrist hinaus bis zur rechtskräftigen Gerichtsentscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung weiterbeschäftigt weden müsse. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Widerspruchstatbestände des § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG typischerweise auf eine betriebsbedingte Kündigung bezögen, könne für die (seiner Meinung nach nicht gerechtfertigte) verhaltensbedingte Kündigung keine im Vergleich zur Stellungnahme des Betriebsrats weitergehende Argumentation gefordert werden. Die Arbeitgeberin argumentierte, dass der verhaltensbedingte Kündigungsgrund durch Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen nicht entfallen könne.
Das Arbeitsgericht hat die Verfügungsklage des Arbeitnehmers abgewiesen.
Es lag kein Verfügungsanspruch vor, da der Mitarbeiter keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG hatte. Zwar muss der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer auf dessen Verlangen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen, wenn der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist und der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat. Doch an einem ordnungsgemäßen Widerspruch des Betriebsrats gegen die allein auf Gründe im Verhalten des Mitarbeiters gestützte ordentliche Kündigung fehlte es hier.
Der Betriebsrat hatte seinen Widerspruch ausdrücklich auf § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG gestützt. Hierzu hatte die Arbeitgeberin überzeugend ausgeführt, dass der verhaltensbedingte Kündigungsgrund durch Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen nicht entfallen könne. Darüber hinaus hatte der Betriebsrat in seiner Stellungnahme selbst festgestellt, dass er zu den verhaltensbedingten Vorwürfen nichts sagen könne, weil er die dargestellten Sachverhalte nicht überprüfen könne.
Die ausgesprochene Kündigung war auch nicht offensichtlich unwirksam. Der Mitarbeiter muss deshalb zunächst das erstinstanzliche Urteil im Kündigungsrechtsstreit abwarten, bevor er – im Falle seines Obsiegens – seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits verlangen kann.
Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 27.11.2024
Aktenzeichen: 4 Ga 11/24