Tarifliche Altersfreizeit – Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter
Nach Vollendung des 58. Lebensjahres verlangte die Mitarbeiterin von der Arbeitgeberin tarifliche Altersfreizeit von einer Stunde wöchentlich. Dies lehnte die Arbeitgeberin mit Schreiben im Januar 2017 ab. Die Mitarbeiterin war der Ansicht, ihr stehe trotz ihrer Teilzeittätigkeit ein Anspruch auf Altersfreizeit zu. § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV verletze das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG und sei deshalb unwirksam. Sie könne im Wege einer „Anpassung nach oben“ die Gewährung tariflicher Altersfreizeit im Umfang von einer Stunde je Woche verlangen. Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV sei sachlich gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hatte die Feststellungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben. Das Bundesarbeitsgeicht hat nun das Berufungsurteil im Revisionsverfahren bestätigt.
Ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV benachteiligt in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen ihrer Teilzeittätigkeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.01.2023, Az. 5 AZR 108/22). Dieser Prüfungsmaßstab steht im Einklang mit dem Unionsrecht in der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (Rahmenvereinbarung). Mit § 4 Abs. 1 TzBfG wurde § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenvereinbarung umgesetzt.
Die Benachteiligung wegen der Teilzeittätigkeit war auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt (Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 23.03.2017, Az. 6 AZR 161/16). Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtigt allerdings nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) steht einer Überprüfung des § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV am Maßstab des Benachteiligungsverbots des § 4 Abs. 1 TzBfG nicht entgegen. Denn tarifvertragliche Regelungen müssen mit höherrangigem Recht vereinbar sein (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.06.2018, Az. 9 AZR 564/17).
Infolgedessen haben die Tarifvertragsparteien hier mit der Regelung in § 2a Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 MTV ihre durch § 4 Abs. 1 TzBfG begrenzte Rechtsetzungsbefugnis – auch unter Berücksichtigung ihres Beurteilungs- und Ermessensspielraums – überschritten. Für Teilzeitkräfte, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, unterstellt der Tarifvertrag, dass es an einem ins Gewicht fallenden Entlastungsbedarf fehlt, weil er deren Arbeitszeit nicht proportional zu ihrer individuellen Arbeitszeit absenkt, sondern sie vollständig von der Gewährung von Altersfreizeit ausschließt. Diese von der konkreten Tätigkeit unabhängige, sich allein am Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit von älteren Arbeitnehmern orientierende Differenzierung bei der Gewährung vergüteter Altersfreizeit ist nicht durch Unterschiede im Tatsächlichen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, der die Annahme rechtfertigen könnte, für Arbeitnehmer ab Vollendung des 58. Lebensjahres bestehe eine qualitative Belastung erst ab einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden.