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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Frauen scheitern mit Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Gewährung von Mutterschutz nach einer Fehlgeburt

Frauen scheitern mit Verfassungsbeschwerde mit dem Ziel der Gewährung von Mutterschutz nach einer Fehlgeburt

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Frauen, die eine Fehlgeburt nach der 12., aber vor der 24. Schwangerschaftswoche erlitten haben, nicht zur Entscheidung angenommen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde verfolgten sie das Ziel, wie Entbindende behandelt zu werden, die unter die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) fallen.

In § 3 Abs. 2 bis Abs. 4 MuSchG sind u.a. Schutzfristen geregelt, in denen Frauen nach einer „Entbindung“ nicht beschäftigt werden dürfen. Während dieser Schutzfristen haben Frauen, die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind, gegen die Krankenkassen Anspruch auf Mutterschaftsgeld und ggf. gegen den Arbeitgeber auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld. Zur Auslegung des Begriffs der „Entbindung“ nahm die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in einem anderen Kontext bisher auf Regelungen der Personenstandsverordnung Bezug. In den Fällen, in denen im personenstandsrechtlichen Sinne eine Fehlgeburt vorlag, wurde eine „Entbindung“ abgelehnt. Eine „Entbindung“ war danach nur gegeben, wenn ein Kind lebend oder tot nach der 24. Schwangerschaftswoche bzw. mit einem Gewicht von mehr als 500 Gramm geboren wurde.

Vier angestellte bzw. verbeamtete Frauen, deren Schwangerschaften jeweils nach der 12., aber vor der 24. Schwangerschaftswoche durch eine Fehlgeburt endete, hließen sich daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen und arbeiteten nicht. Sie meinten, dass die mutterschutzrechtlichen Schutzfristenregelungen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien, weil Frauen, die zwischen der 12. und der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt mit einem weniger als 500 Gramm schweren Kind erlitten haben, von den angegriffenen Schutzfristenregelungen ausgenommen seien. Die Frauen erhoben Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.

Die Verfassungsbeschwerde waren unzulässig, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden waren und im Übrigen den Grundsatz der Subsidiarität nicht gewahrt worden war. Die beschwerdeführenden Frauen hätten ihre Ansprüche vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde vor den Sozial- bzw. Arbeitsgerichten verfolgen können und müssen.

Eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine Norm richtet, kann nur binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Diese Frist war bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde abgelaufen.

Die Verfassungsbeschwerde genügte auch nicht dem Grundsatz der Subsidiarität. Vor Erhebung von Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind grundsätzlich alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen können. Die beschwerdeführenden Frauen hätten, jedenfalls soweit sie Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse sind, gegen die Krankenkassen einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld bzw. gegen ihre Arbeitgeber einen Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld geltend machen können. Beide Ansprüche hätten sie vor den Fachgerichten verfolgen können. Des Weiteren hätten sie eine Klage auf Feststellung eines Beschäftigungsverbots erheben können.

Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes war den beschwerdeführenden Frauen auch nicht unzumutbar. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld knüpft bei den Anspruchsvoraussetzungen an die gesetzlichen Schutzfristen des § 3 MuSchG und damit an die „Entbindung“ an. Der Begriff der „Entbindung“ wurde durch den Gesetzgeber weder im Mutterschutzrecht noch in den zugehörigen sozialrechtlichen Bestimmungen konkretisiert. In der Rechtsprechung wurde bisher zur Auslegung des Begriffs der „Entbindung“ in einem anderen Kontext auf die Regelungen der Personenstandsverordnung zurückgegriffen. Diese Auslegung erachtete der Gesetzgeber bei Einführung des gesetzlichen Kündigungsverbots für Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, im Zuge der Reform des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2017 aus medizinischer Sicht und nach der Intention des Mutterschutzgesetzes für nicht sachgerecht. Dass die Gerichte gleichwohl an der bisherigen Auslegung des Begriffs „Entbindung“ in Bezug auf die beanstandeten Regelungen festgehalten hätten, war nicht offensichtlich. Dies war mit Blick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Personenstandsverordnung und der mutterschutzrechtlichen Fristenbestimmungen auch unter Berücksichtigung des Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz (GG) im Falle einer Fehlgeburt nicht zwingend. Bei der Auslegung sind zudem medizinische Wertungen zu beachten, die vorrangig im fachgerichtlichen Verfahren zu gewinnen sind.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.08.2024

Aktenzeichen: 1 BvR 2106/22