Stufenweise Wiedereingliederung per einstweiliger Verfügung
Der Mitarbeiter litt seit April 2023 an einem Hirntumor. Die Erkrankung wurde bis Ende Januar 2024 erfolgreich therapiert. Infolgedessen ist ihm ein Grad der Behinderung von 90 anerkannt worden. Die Hausärztin hatte eine stufenweise Wiedereingliederung in die letzte Tätigkeit befürwortete und am 07.02.2024 einen ersten Wiedereingliederungsplan aufgestellt. Der Mitarbeiter bat um Zustimmung zur Durchführung dieser Maßnahme. Die Arbeitgeberin lehnte die Maßnahme ab. Daraufhin stellte die Hausärztin einen neuen Wiedereingliederungsplan, beginnend ab dem 15.03.2024, aus. Der Mitarbeiter ist bis zum 10.04.2024 noch fahruntüchtig. Ab dem 08.06.2024 wird er nach seinen Angaben voraussichtlich wieder vollschichtig in seiner vertraglich vereinbarten Tätigkeit einsatzfähig sein. Der Mitarbeiter wandte sich an das Arbeitsgericht und verlangte im Wege der einstweiligen Verfügung die Verurteilung der Arbeitgeberin zur Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung.
Der Mitarbeiter war der Ansicht, die Eilbedürftigkeit des Verfahrens ergebe sich daraus, dass sein Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung als schwerbehinderter Mensch nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erlangen sei. Bei Abwarten des Hauptsacheverfahrens drohe der endgültige Rechtsverlust. Er habe ein überragendes Interesse daran, die Wiedereingliederung in das Berufsleben und die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz möglichst zeitnah im Anschluss an den Abschluss seiner Therapie zu beginnen. Die Arbeitgeberin behauptete, es gäbe keine sinnvollen Aufgaben, die der Mitarbeiter mit einer Beschäftigungsdauer von zwei oder vier Stunden täglich erledigen könnte. Die geschuldete Tätigkeit lasse sich nicht ohne Fahrten mit dem Auto umsetzen.
Das Arbeitsgericht hat dem Verfügungsantrag stattgegeben. Der Mitarbeiter hatte einen Anspruch auf Beschäftigung im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.
Zwar besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich kein Anspruch auf Mitwirkung des Arbeitgebers an einer stufenweisen Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben, insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis. Vielmehr ist das Wiedereingliederungsverhältnis ein Vertragsverhältnis eigener Art (sui generis), zu dessen Begründung es einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bedarf, wobei für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gilt (Urteil des Bundesarbeitsgeichts vom 16.05.2019, Az. 8 AZR 530/17). Etwas anderes gilt jedoch, wenn es um die stufenweise Wiedereingliederung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben geht. Der Arbeitgeber kann nämlich gegenüber einer schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Person nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken und diese/n Beschäftigte/n entsprechend den Anlagen im ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen.
Der Anspruch setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkung, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Die Bescheinigung muss eine entsprechende Prognose enthalten. Der Mitarbeiter hatte der Arbeitgeberin eine auf dem vorgesehenen Formular ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Zwar mag die Stelle des Mitarbeiters mit Fahrtätigkeiten zu Baustellen verbunden sein. Zu beachten war jedoch, dass die Fahruntüchtigkeit sich nur auf einen begrenzten Zeitraum bezieht, in dem der Mitarbeiter nur zwei Stunden täglich einsatzfähig ist. Die Arbeitgeberin hatte nicht hinreichend vorgetragen, dass an Tagen mit geringer Beschäftigungsdauer, nicht auch Arbeiten im Büro anfallen, die der Mitarbeiter sinnvollerweise erledigen könnte.
Es bestand auch ein Verfügungsgrund, d.h. die Entscheidung ist im Eilverfahren erforderlich. Den Anspruch auf Beschäftigung entsprechend den Angaben im ärztlichen Wiedereingliederungsplan aus § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX kann die schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Person auch im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens nach § 62 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935 ff. ZPO verfolgen. Die notwendige Eilbedürftigkeit folgt aus dem Beschäftigungsinteresse der schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Person, welches aufgrund ihres Anspruchs auf Teilhabe am Erwerbsleben aus § 164 Abs. 4 SGB IX grundsätzlich überwiegt.