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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Kein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bei Betriebsänderungen

Kein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bei Betriebsänderungen

Es ist in der Rechtsprechung und der Literatur streitig, ob sich aus den §§ 111 ff. des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) bzw. aus den §§ 935, 938 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung von Betriebsänderungen bis zum Abschluss der vom Arbeitgeber geschuldeten Information und Beratung ergibt. Nach Auffassung der erkennenden Kammer des Arbeitsgerichts Erfurt besteht kein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bei Betriebsänderungen.

Gestritten wurde zwischen dem Betriebsrat und einem Unternehmen mit 212 Arbeitnehmern, das Etiketten für verschiedene Firmen, im Wesentlich in den Bereichen Home & Beauty, fertigt. Das Unternehmen ist Teil der A Group. Muttergesellschaft ist die A-GmbH ist. Insgesamt bilden ca. 29 Firmen in mehreren europäischen Ländern den Konzern mit einem Umsatzvolumen von mehr als 1 Mrd. EUR  jährlich. Der Betrieb des betreffenden Unternehmens beliefert vor allem internationale Großkunden.

Am 14.12.2023 wurde der Betriebsrat gemäß §§ 92, 106, 111 BetrVG, § 178 Sozialgesetzbuch (SGB) 9 über die Planung einer Betriebsänderung schriftlich über die Absicht der Stilllegung des Betriebes des Unternehmens im Laufe des 3. Quartals 2024 informiert. In dem Schreiben wurde erläutert, dass zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und damit auch der Sicherung der Zukunft der A Group insgesamt die Schließung des Standortes des Unternehmens zwingend notwendig und alternativlos sei. Eine 60%ige Auslastung der Standorte in Europa, ein absehbarer Umsatzrückgang in 2024, der Preisdruck im Home Care-Markt sowie die Bevorzugung lokaler Belieferung wurden u.a. als Gründe für die beabsichtigte Schließung benannt. Das Schreiben enthielt zudem eine Liste mit geplanten Maßnahmen, den Entwurf eines Interessenausgleichs, den Entwurf eines Sozialplanes  sowie den Entwurf einer Vereinbarung über eine Einigungsstelle, falls es nicht bis spätestens zum 29.02.2024 gelingen sollte, sich auf einen Sozialplan zu verständigen.

Der Betriebsrat war der Ansicht, ihm stehe ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung der betriebsinternen Maßnahmen zu. Das Unternehmen versuche dadurch bereits vollendete Tatsachen zu schaffen, die einer Einflussnahme des Betriebsrats auf zukünftige Maßnahmen verhindere. Das Unternehmen nehme damit dem Betriebsrat die Möglichkeit, durch eigene Vorschläge, wie z.B. die Fortführung der Produktion mit einem Teil der Belegschaft, auf die Betriebsänderung Einfluss zu nehmen. Der Betriebsrat machte wegen der beabsichtigten Betriebsschließung einen Unterlassungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück. Der Antrag auf einstweilige Verfügung war unbegründet, da es bereits an einem Verfügungsanspruch fehlte.

Es ist in der Rechtsprechung und der Literatur streitig, ob sich aus den §§ 111 ff. BetrVG bzw. aus den §§ 935, 938 ZPO ein Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung von Betriebsänderungen bis zum Abschluss der vom Arbeitgeber geschuldeten Information und Beratung ergibt. Nach Auffassung der erkennenden Kammer des Arbeitsgerichts besteht kein allgemeiner Unterlassungsanspruch des Betriebsrates bei Betriebsänderungen. Gegen einen solchen Anspruch aus § 111 BetrVG spricht bereits der Gesetzeswortlaut, der lediglich einen Unterrichtungs- und Beratungsanpruch des Betriebsrates vorsieht. Insoweit wird auf die überzeugenden Argumente des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 24.11.2004 mit dem Az. 9 TaBV 29/09, dort Rn. 37 ff. Bezug genommen. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.05.1994 mit dem Az. 1 ABR 24/93 wurde ein Unterlassungsanspruch zwar im Wesentlichen deshalb bejaht, weil § 87 BetrVG die erzwingbare Mitbestimmung regelt und der Gesetzgeber einen betriebsverfassungswidrigen Zustand in diesem Bereich nicht dulden wollte. Eine vergleichbare Situation ist aber im Bereich des § 111 BetrVG nicht gegeben. Auch die Umstände der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001 sprechen gegen einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates im Bereich der §§ 111 ff. BetrVG.

Selbst für den Fall der Annahme eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs hatte der Betriebsrat vorliegend nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die aufgeführten Maßnahmen bereits eine Umsetzung der beabsichtigten Schließung darstellen. Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine Betriebsänderung in der Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur für vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt.

Die hier aufgeführten Maßnahmen waren allerdings nicht unumkehrbar bzw. von dem Unternehmen nicht beeinflussbar. Sie hatten keine Auflösung der Betriebsorganisation zur Folge. Auch bereits abgeschlossene Aufhebungsverträge stellten noch keine Umsetzung der Betriebsänderung dar. Denn es steht jedem Arbeitnehmer frei, sich an den Arbeitgeber zu wenden und um Aufhebung des Arbeitsvertrages im Hinblick auf die beabsichtigte Betriebsschließung zu bitten.

Beschluss des Arbeitsgerichts Erfurt vom 19.02.2024

Aktenzeichen: 6 BVGa 1/24