Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Ab dem 01.06.2022 war der Mitarbeiter wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Mitarbeiter; die Arbeitsunfähigkeit habe bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden.
Das Arbeitsgericht und – auf die Berufung der Arbeitgeberin – das Landesarbeitsgericht gaben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage des Mitarbeiters für die Zeit vom 01.05. bis 31.05.2022 statt. Die dagegen gerichtete Revision der Arbeitgeberin zum Bundesarbeitsgericht hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 07.05. bis 31.05.2022 – Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht hob das Berufungsurteil insoweit auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.
Hiervon ausgehend war das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände.
Hiernach hatte das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass für die Bescheinigung vom 02.05.2022 der Beweiswert nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 2 Satz 4 Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Weitere Umstände hatte die Arbeitgeberin nicht dargelegt.
Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 06.05. und vom 20.05.2022 war der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Mitarbeiter unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hatte. Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Mitarbeiter für die Zeit vom 07.05. bis zum 31.05.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Engetltfortzahlungsgesetz (EFZG) trägt.
Da das Landesarbeitsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückzuverweisen.