Nachschieben von Kündigungsründen im Gerichtsverfahren
Die Arbeitgeberin ging von einer eigenmächtigen Urlaubsnahme aus. Am 03.08.2022 beantragte sie beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Der Betriebsrat stimmte dem nicht zu, formulierte am nächsten Tag einen Widerspruch und meldete zugleich Bedenken an. Im Wesentlichen teilte der Betriebsrat mit, dass die Mitarbeiterin den Eindruck gehabt habe, dass der freie Tag im Gespräch mit ihrem Teamleiter genehmigt worden sei.
Am 09.08.2022 beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiterin. Der Antrag war zum EGVP-Versand abgesandt worden über ein besonderes Behördenpostfach (beBPo). Eine qualifizierte Signatur wurde nicht verwendet.
Die Beschwerdekammer folgte der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern bei fehlender Zustimmung des Betriebsrates die im Recht der fristlosen Kündigung verankerte zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zwischen Kenntnis vom Kündigungsgrund und Eingang des Antrages gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beim Arbeitsgericht einzuhalten ist. Da die auf das Verfahren nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu übertragende Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eine materiell-rechtliche Frist darstellt, kann diese materiell-rechtliche Wirkung nur eintreten, wenn die Arbeitgeberin innerhalb der zwei-Wochen-Frist einen zulässigen Antrag beim Arbeitsgericht stellt.
Der am 09.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangene Antrag auf Ersetzung der Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiterin hatte die zwei-Wochen-Frist des § 626 BGB nicht gewahrt, da der Antrag nicht formwirksam gestellt worden war. Der Antrag war entgegen der Bestimmung des § 80 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG), § 46 Abs. 2 ArbGG, § 130 Nr. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht unterzeichnet gewesen. Dabei hatte die Beschwerdekammer nicht verkannt, dass vom reinen Gesetzeswortlauf her die Bestimmung des § 130 Nr. 6 ZPO, die das Unterschriftserfordernis begründet, als Sollvorschrift ausgestaltet ist. Allerdings entspricht es der ständigen Rechtsprechung sowohl des Bundesarbeitsgerichts als auch des Bundesgerichtshofs, dass § 130 Nr. 6 ZPO ein zwingendes Formerfordernis beinhaltet.
Soweit die Arbeitgeberin die Auffassung vertreten hatte, die mit der Beschwerdeerwiderung „nachgeschobenen“ Gründe zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Mitarbeiterin seien von der Beschwerdekammer jedenfalls zu berücksichtigen, da die entsprechenden Schriftsätze formwirksam beim Landesarbeitsgericht eingereicht worden seien, folgte die Beschwerdekammer dem nicht. Im Zustimmungsersetzungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG können Kündigungsgründe, die während des laufenden Verfahrens entstanden sind, nur nachgeschoben werden, wenn der verfahrenseinleitende Antrag formwirksam bei Gericht eingereicht worden ist (im Anschluss an Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.1996, Az. 2 AZR 3/96).