Erschütterung des Beweiswertes von AU-Bescheinigungen während der Kündigungsfrist
Wer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Kündigung während der gesamten Kündigungsfrist der Arbeit aufgrund eingereichter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fernbleibt, muss damit rechnen, dass er unter Umständen keine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann. Das Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein hat in Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 (Az. 5 AZR 149/21) den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in einer Gesamtbetrachtung aller Indizien als erschüttert angesehen. Im Rahmen der erforderlichen Beweisaufnahme konnte die klagende Mitarbeiterin das Gericht nicht von ihrer Arbeitsunfähigkeit überzeugen.
Eine als Pflegeassistentin beschäftigte Mitarbeiterin hatte am 04.05.2022 mit Datum 05.05.2022 ein Kündigungsschreiben zum 15.06.2022 verfasst und darin u.a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten. Sie bedankte sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Die Mitarbeiterin erschien ab dem 05.05.2022 nicht mehr zur Arbeit und reichte durchgehend bis zum 15.06.2022 und damit genau für sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Die Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung. Die Mitarbeiterin klagte auf Zahlung.
Nachdem das Arbeitsgericht der Zahlungsklage in erster Instanz noch stattgegeben hatte, wies das Landesarbeitsgericht die Klage auf die Berufung der Arbeitgeberin ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben grundsätzlich einen hohen Beweiswert. Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Eine Erschütterung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer in Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch erschüttert, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert, diese punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst und sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Kündigende von vornherein nicht mehr mit seiner Anwesenheit rechnet.
Bei der Beweiswürdigung stellte das Gericht entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Mitarbeiterin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hatte, die tatsächlich nicht bestanden hatten.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 02.05.2023
Aktenzeichen: 2 Sa 203/22