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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Lehrer-Kündigung wegen YouTube-Video mit Bild eines KZ-Tores mit Inschrift „Impfung macht frei“ unwirksam

Lehrer-Kündigung wegen YouTube-Video mit Bild eines KZ-Tores mit Inschrift „Impfung macht frei“ unwirksam

Die Kündigung eines Lehrers, der ein Video unter Verwendung eines Bildes des Tores eines Konzentrationslagers mit der Inschrift „Impfung macht frei“ bei YouTube eingestellt hatte, ist unwirksam. Das Arbeitsverhältnis war dennoch zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.03.2022 gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 72.000 EUR aufzulösen.

Ein Lehrer des Landes Berlin veröffentlichte im Juli 2021 als Stellungnahme zur Impfpolitik der Bundesregierung auf YouTube ein Video, das mit der Darstellung des Tores eines Konzentrationslagers begann, bei dem der Originalschriftzug des Tores „Arbeit macht frei“ durch den Text „Impfung macht frei“ ersetzt war. Das Land kündigte dem Lehrer im August 2021 im Hinblick auf dieses Video fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 31.03.2022. Der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Damit verharmlose er die Unrechtstaten der Nationalsozialisten und missachte deren Opfer. Der Lehrer habe seine Schüler aufgefordert, seinen außerdienstlichen Aktivitäten im Internet zu folgen, und habe sich in anderen Videos auf YouTube als Lehrer aus Berlin vorgestellt. Der Lehrer sieht in dem Video keine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung und keinen Grund für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Er habe mit dem privaten Video ohne Bezug zu seinem Arbeitsverhältnis ausschließlich scharfe Kritik üben wollen. Das Video sei durch sein Grundrecht auf Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.

Mit einem weiteren, im Juli 2022 veröffentlichten Video erklärte der Lehrer unter Hinweis auf seine Beschäftigung als Lehrer in Berlin u.a., die totalitären Systeme Hitlers, Stalins und Maos hätten zusammen nicht so viel Leid und Tod verursacht wie die „Corona-Spritz-Nötiger“. Daraufhin kündigte das Land im Juli 2022 erneut fristlos und hilfsweise ordentlich. Es sieht in dem Video von Juli 2022 eine eindeutige Verharmlosung des Holocaust und einen eindeutigen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Der Lehrer meint, es handele sich lediglich um ein wütendes Statement und ausschließlich um seine persönliche Meinung, die dem Land nicht zugeordnet werden könnten.

Ergänzend zu den Kündigungen beantragte das Land in beiden Instanzen des gerichtlichen Verfahrens für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung von August 2021, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von etwa 16.000 EUR (ein Fünftel eines Monatsverdienstes des Lehrers pro Beschäftigungsjahr) nach Maßgabe von §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zum 31.03.2022 aufzulösen. Aufgrund mehrerer Äußerungen des Lehrers in dem Video von Juli 2022 und im laufenden Gerichtsverfahren lägen schwerwiegende Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche und vertrauensvolle weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr erwarten ließen.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen und die erste außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet. Das Video könne nicht mehr als eine durch die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit gedeckte Kritik ausgelegt werden, sondern stelle eine unzulässige Verharmlosung des Holocaust dar. Eine Weiterbeschäftigung des Lehrers sei dem Land aus diesem Grund unzumutbar.

Auf die Berufung des Lehrers änderte das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts ab und erachtete die außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls für unwirksam. Das Landesarbeitsgericht löste das Arbeitsverhältnis jedoch mit Wirkung zum 31.03.2022 nach §§ 9 und 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung i.H.v. rund 72.000 EUR auf. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.

Da das Land Berlin dem Personalrat betreffend die Kündigung von August 2021 nur den Screenshot des Eingangsbildes des Videos als Kündigungsgrund genannt habe, kann es sich im Kündigungsschutzverfahren auch nur darauf stützen. Die Deutung des Lehrers, eine scharfe Kritik an der Coronapolitik zu äußern, konnte nicht zwingend ausgeschlossen werden. Eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung war nicht eindeutig festzustellen. Der Umstand, dass der Kläger als Lehrer tätig war, lässt keinen anderen Maßstab bei der Beurteilung zu.

Das Arbeitsverhältnis war jedoch mit Wirkung zum 31.03.2022 nach §§ 9 und 10 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, weil dem Land die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger u.a. im Hinblick auf Äußerungen im Video von Juli 2022 und im hiesigen Verfahren nicht mehr zumutbar ist. Das Land hat insoweit eine Abfindung von rd. 72.000 EUR (12 Monatsverdienste) an den seit 2008 bei ihm beschäftigten 62-jährigen Lehrer zu zahlen

Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg von 15.06.2023

Aktenzeichen: 10 Sa 1143/22