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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Besseres Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine schlechtere Bezahlung von Frauen gegenüber männlichen Kollegen

Besseres Verhandlungsgeschick rechtfertigt keine schlechtere Bezahlung von Frauen gegenüber männlichen Kollegen

Frauen haben Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihre männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Zahlt der Arbeitgeber Männern mehr, können sie daher eine entsprechend höhere Vergütung verlangen. Das gilt auch, wenn Grund für die bessere Bezahlung das besondere Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen ist.

Eine Mitarbeiterin war seit März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb bei einer Arbeitgeberin beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundentgelt betrug anfangs monatlich 3.500 EUR brutto. Ab August 2018 richtete sich ihre Vergütung nach einem Haustarifvertrag, der u.a. die Einführung eines neuen Eingruppierungssystems regelte. Die für die Tätigkeit der Mitarbeiterin maßgebliche Entgeltgruppe des Haustarifvertrags sah ein Grundentgelt i.H.v. 4.140 EUR brutto vor. In § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags heißt es: „Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt das bisherige tarifliche Entgelt (…) überschreitet, erfolgt die Anpassung um nicht mehr als 120 EUR/brutto in den Jahren 2018 bis 2020“ (Deckelungsregelung). In Anwendung dieser Bestimmung zahlte die Arbeitgeberin der Mitarbeiterin ab August 2018 ein Grundentgelt i.H.v. 3.620 EUR brutto, das in jährlichen Schritten weiter angehoben werden sollte.

Neben der Mitarbeiterin waren als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb der Arbeitgeberin zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer davon seit dem Januar 2017. Die Arbeitgeberin hatte auch diesem Arbeitnehmer ein Grundentgelt i.H.v. 3.500 EUR brutto angeboten, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte für die Zeit bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung, d.h. für die Zeit bis zum 31.10.2018 ein höheres Grundentgelt von 4.500 EUR brutto. Die Arbeitgeberin gab dieser Forderung nach.

Nachdem die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer von November 2017 bis Juni 2018 – wie auch der Mitarbeiterin – ein Grundentgelt i.H.v. 3.500 EUR gezahlt hatte, vereinbarte sie mit diesem ab Juli 2018 eine Erhöhung des Grundentgelts auf 4.000 EUR brutto. Zur Begründung berief sie sich u.a. darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab August 2018 zahlte die Arbeitgeberin dem männlichen Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt nach derselben Entgeltgruppe wie der Mitarbeiterin, das sich in Anwendung der „Deckelungsregelung“ des § 18 Abs. 4 des Haustarifvertrags auf 4.120 EUR brutto belief.

Die Mitarbeiterin war der Ansicht, die Arbeitgeberin müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte. Da die Arbeitgeberin sie beim Entgelt aufgrund des Geschlechts benachteiligt habe, schulde sie ihr zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung i.H.v. mind. 6.000 EUR.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Mitarbeiterin änderte das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil ab und gab der Klage weitestgehend statt.

Die Arbeitgeberin hat die Mitarbeiterin in der Zeit von März bis Oktober 2017 sowie im Juli 2018 aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und zwar dadurch, dass sie ihr, obgleich die Mitarbeiterin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen. Die Mitarbeiterin hat deshalb einen Anspruch nach Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege.

Der Umstand, dass die Mitarbeiterin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege, begründete die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Arbeitgeberin ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Insbesondere konnte sie sich für den Zeitraum März bis Oktober 2017 nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Für den Monat Juli 2018 konnte die Arbeitgeberin die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts insbesondere nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Für den Zeitraum ab August 2018 ergab sich der höhere Entgeltanspruch der Mitarbeiterin bereits aus dem Tarifvertrag. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin fand die „Deckelungsregelung“ in § 18 Abs. 4 Haustarifvertrag auf die Mitarbeiterin keine Anwendung, weil diese zuvor kein tarifliches, sondern ein einzelvertraglich vereinbartes Entgelt erhalten hatte.

Infolgedessen war der auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichteten Klage der Mitarbeiterin teilweise zu entsprechen. Das Bundesarbeitsgericht hielt insofern eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts i.H.v. 2.000 EUR für angemessen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16.02.2023

Aktenzeichen: 8 AZR 450/21