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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Tarifvertragliche Ausschlussfrist: Urlaubsabgeltung vor EuGH-Entscheidung

Tarifvertragliche Ausschlussfrist: Urlaubsabgeltung vor EuGH-Entscheidung

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 06.11.2018 (Az. C-684/16) und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils.

Ein Zeitungsverlag beschäftigte einen Mitarbeiter seit April 2007 zunächst auf der Grundlage eines sog. Vertrags für Pauschalisten, sodann als angestellten Online-Redakteur. Nach § 18 Nr. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für Redakteure an Tageszeitungen (MTV) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen. Während seiner Tätigkeit als Pauschalist vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 erhielt der Mitarbeiter keinen Urlaub. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.09.2014. Im August 2018 forderte der Mitarbeiter die Arbeitgeberin auf, insgesamt 65 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugelten. Die Forderung i.H.v. rund 14.400 EUR brutto wies die Arbeitgeberin mit der Begründung zurück, ein etwaiger Anspruch des Mitarbeiters aus der Zeit seiner Tätigkeit als Pauschalist sei verfallen und verjährt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Mitarbeiters hob das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfallen. Daran hält das Bundesarbeitsgericht fest. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt. Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Mitarbeiter war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2014 nicht gehalten, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 der Arbeitgeberin gegenüber i.S.d. Ausschlussfristenregelung geltend zu machen. Das Bundesarbeitsgericht ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen. Erst nachdem der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, oblag es dem Mitarbeiter, Urlaubsabgeltung zu verlangen. Der von dem Mitarbeiter erhobene Abgeltungsanspruch ist vor diesem Zeitpunkt auch nicht verjährt. Zwar steht der Anwendung der Verjährungsvorschriften der unabdingbare Schutz, den der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub genießt, nicht entgegen. Nach den vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 456/20) entwickelten Grundsätzen lief die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende 2018. Der Mitarbeiter wahrte die gesetzliche Verjährungsfrist, indem er die Arbeitgeberin im Jahr 2018 auf Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichtlich in Anspruch nahm. Nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht abschließend darüber befinden, ob die Arbeitgeberin Urlaubsabgeltung schuldet. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung aufzuklären haben, ob der Mitarbeiter in den Jahren 2007 bis 2010, in denen er als Pauschalist redaktionelle Aufgaben für die Arbeitgeberin wahrnahm, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023

Aktenzeichen: 9 AZR 244/20