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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Die Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes obliegt – wie beim Vorhandensein eines anrechenbaren Verdiensts – dem Arbeitgeber.

Eine Mitarbeiterin war ab 1999 zunächst als leitende kaufmännische Angestellte bei einem Unternehmen angestellt. Auf Basis eines Geschäftsführervertrages vom 01.08.2002 war sie fortan bis zu ihrer Abberufung mit Gesellschafterbeschluss vom 29.10.2013 als Geschäftsführerin tätig. Auch nach ihrer Abberufung war die Mitarbeitern zunächst weiter für die Arbeitgeberin tätig. Das Gehalt von zuletzt 7.000 EUR brutto blieb unverändert. Zudem war der Mitarbeiterin ein Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehaltes, fällig mit der Gehaltszahlung Juli, zugesagt. Die Mitarbeiterin war im hier maßgeblichen Zeitraum mit dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin erheiratet. Die Eheleute legten in einer Trennungsvereinbarung fest, dass sie seit dem 23.07.2013 getrennt leben. Sie betrieben die Auseinandersetzung der Ehe. Am 27.02.2014 kündigte die Arbeitgeberin das bestehende Dienstverhältnis mit Wirkung zum 30.04.2014 und stellte die Mitarbeiterin mit sofortiger Wirkung von der Arbeit frei. Mit Schreiben vom 14.07.2014, 22.07.2014 und 29.09.2014 sprach die Arbeitgeberin weitere fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigungen aus, welche die Mitarbeiterin gerichtlich angriff.

Das Arbeitsgericht Gera stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 27.02.2014, 14.07.2014 und 22.07.2014 nicht bzw. nicht fristlos aufgelöst wurde, und wies die Klage im Übrigen ab. Das Arbeitsgericht hielt die letzte fristlose Kündigung vom 29.09.2014 wegen unerlaubter Konkurrenztätigkeit für wirksam. Mit Urteil vom 13.12.2018 wurde die Berufung der Mitarbeiterin gegen das Urteil vom Thüringer LAG (4 Sa 68/16) zurückgewiesen. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 13.03.2014 wurde die ABC GmbH gegründet. Die Mitarbeiterin wurde als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der ABC GmbH im Handelsregister eingetragen. Für ihre Geschäftsführertätigkeit erhielt die Mitarbeiterin keine Vergütung, sondern nur eine Gewinnbeteiligungszusage. Außerdem sind weder an die Mitarbeiterin noch an andere Gesellschafter Ausschüttungen erfolgt.

Die Mitarbeiterin hat Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum Mai bis September 2014, die Zahlung von Urlaubsgeld für 2014 i.H.v. 3.500 EUR brutto sowie Urlaubsabgeltungsansprüche für 2013 und 2014 geltend gemacht. Als Annahmeverzug hat sie monatlich 7.000 EUR brutto sowie weitere 443,20 EUR und 24,70 EUR als Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung berechnet. Das Arbeitsgericht hat der Klage in Bezug auf die dargestellten Ansprüche stattgegeben und dabei die Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung „netto“ zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Arbeitgeberin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die zu zahlenden Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung und Pflegeversicherung nicht „netto“ geschuldet und dass Zinsen auf die Urlaubsabgeltung erst ab 24.08.2016 zu zahlen sind. Zudem hat es für die Arbeitgeberin die Revision zugelassen mit Ausnahme der Ansprüche auf Urlaubsabgeltung.

Der Anspruch der Mitarbeiterin auf Zahlung von Annahmeverzugslohn folgt aus § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Im streitgegenständlichen Zeitraum Mai bis September 2014 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Thüringer LAG (4 Sa 68/16) steht fest, dass die Mitarbeiterin nach Abberufung als Geschäftsführerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 27.02.2014 als Arbeitnehmerin beschäftigt war und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis zum 01.10.2014 fortbestand. Aufgrund der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung vom 27.02.2014 war auch ein Angebot der Mitarbeiterin in Bezug auf ihre Arbeitskraft entbehrlich. Denn nach ständiger BAG-Rechtsprechung kommt der Arbeitgeber durch den Ausspruch einer rechtsunwirksamen ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug, ohne dass es eines (wörtlichen) Angebots des Arbeitnehmers bedarf. Auch das Urlaubsgeld in Höhe von 3.500,00 EUR ist als Teil des Annahmeverzugs an die Mitarbeiterin zu zahlen.

Die Mitarbeiterin muss sich keinen anderweitigen Verdienst nach § 11 Nr. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Unstreitig hatte sie im maßgeblichen Zeitraum Mai bis September 2014 keine anderweitigen Einkünfte gehabt. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin war es nicht möglich, den Wert ihrer späteren Kommanditistenbeteiligung gegenzurechnen. Hiergegen sprach zunächst, dass anrechnungsfähig nur solche Einkünfte sind, die auf einer Verwertung der Arbeitskraft beruhen, nicht jedoch Einkünfte aus einer kapitalmäßigen Beteiligung. Zudem war schon nicht erkennbar, dass aus der Kommanditistenbeteiligung Einnahmen im zeitlichen Zusammenhang mit dem hier interessierenden Zeitraum Mai bis September 2014 generiert worden wären.

Die Arbeitgeberin konnte dem Anspruch der Mitarbeiterin zuletzt auch nicht den Einwand böswillig unterlassenen Erwerbs nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB entgegenhalten. Die Darlegungs- und Beweislast für das böswillige Unterlassen anderweitigen Verdienstes obliegt – wie beim Vorhandensein eines anrechenbaren Verdiensts – dem Arbeitgeber. Dies vorausgeschickt ließ sich eine böswillig unterlassene Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung durch die Mitarbeiterin nicht feststellen. Die Mitarbeiterin hatte sich nach ihren unbestrittenen Angaben noch im März 2014 arbeitssuchend gemeldet, aber keine adäquaten Stellenangebote erhalten. Gegenteiliges hat die diesbezüglich darlegungsbelastete Arbeitgeberin nicht dargetan.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision gegen das Urteil nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) zugelassen, da die sich stellenden Fragen zu den Anforderungen an ein böswilliges Unterlassen von Verdienst im Rahmen des § 615 Satz 2 BGB mit Blick auf die Übernahme einer unentgeltlichen Tätigkeit aus Sicht des Landesarbeitsgerichts einer höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Da sich eine etwaige Anrechnung böswillig unterlassenen Verdiensts nur bei den Annahmeverzugsansprüchen auswirken kann, erfolgte die Revisionszulassung beschränkt auf diese Streitgegenstände und nicht in Hinblick auf die Urlaubsabgeltung.

Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 06.09.2022

Aktenzeichen: 1 Sa 427/20