Rechtsanwalt Dr. von Harbou

Vertrauen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit. Geben Sie mir die Gelegenheit, Sie von mir und meinen Fähigkeiten zu überzeugen. Gerne vereinbare ich mit Ihnen einen ersten Termin, in dem wir Ihr Anliegen besprechen und ich Sie anschließend über die rechtlichen Möglichkeiten, Erfolgsaussichten, Risiken und Kosten informiere.

Geschäftszeiten

Montag - Freitag 09:00 -18:00 Uhr
Samstag - Sonntag Geschlossen

Aktueller Rechtsblog

Top
Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Fristlose Kündigung nach Compliance-Untersuchung: 2-Wochen-Frist

Fristlose Kündigung nach Compliance-Untersuchung: 2-Wochen-Frist

Der Arbeitgeber kann sich gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht auf die Wahrung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn er es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt.

Ein Mitarbeiter war seit September 1996, zuletzt als Vertriebsleiter Defence, bei einem Unternehmen beschäftigt, das in den Bereichen Verteidigung und Raumfahrt tätig ist und mehrfach Auftragnehmerin der Bundeswehr bzw. des Bundesministeriums der Verteidigung war. Bei der Arbeitgeberin ist ein „Legal & Compliance Department“ gebildet. Im Juli 2018 hatte die Abteilung den Hinweis erhalten, dass Mitarbeitern des Unternehmens ein behördeninternes Dokument des Bundesministeriums der Verteidigung zu einem zukünftigen Beschaffungsvorhaben mit dem Geheimhaltungsgrad „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD)“ vorliege. Die Arbeitgeberin holte rechtlichen Rat über potenzielle Unternehmensrisiken ein und beauftragte im Oktober 2018 eine Rechtsanwaltskanzlei mit einer unternehmensinternen Untersuchung zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts. Am 27.06.2019 entschied das dafür gebildete Compliance-Team der Arbeitgeberin, die interne Untersuchung zu unterbrechen und – anders als ursprünglich geplant – die bisherigen Untersuchungsergebnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin aufzubereiten, um diese in die Lage zu versetzen, über etwaige weitere, auch arbeitsrechtliche, Maßnahmen zu entscheiden. Die Rechtsanwaltskanzlei stellte daraufhin die ihrer Auffassung nach ermittelten Pflichtverletzungen des betreffenden Mitarbeiters sowie weiterer 88 Personen in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung der Arbeitgeberin zusammen. Der Bericht wurde am 16.09.2019 übergeben. Auf Aufforderung der Arbeitgeberin nahm der Mitarbeiter mit Schreiben vom 20.09.2019 zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung. Nach Anhörung des Betriebsrats, in der die Arbeitgeberin Ausführungen zu 38 sog. Findings über E-Mail-Verkehr unter Beteiligung des Mitarbeiters machte, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter mit Schreiben vom 27.09.2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer Auslauffrist entsprechend der ordentlichen Kündigungsfrist. Das Kündigungsschreiben ging dem Mitarbeiter am 28.09.2019 zu. Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben dem Mitarbeiter Recht und erklärten die Kündigung für unwirksam, da die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist (§ 626 Abs. 2 Satz 1 BGB) nicht gewahrt worden war. Auf die Revision der Arbeitgeberin hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Landesarbeitsgericht. Die Vorinstanzen hatten die fristlose Kündigung der Arbeitgeberin vom 27.09.2019 zu Unrecht für rechtsunwirksam gehalten, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erklärt worden sei. Nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin war die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt. Die Frist beginnt nach Satz 2 mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Handelt es sich bei dem Arbeitgeber – wie hier – um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter. Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Die Kenntnis anderer Personen ist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. § 166 BGB findet weder direkte noch analoge Anwendung. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB trägt der Arbeitgeber, er muss die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat.

Die Arbeitgeberin hatte vorgetragen, ein für sie Kündigungsberechtigter habe frühestens am 16.09.2019 Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt. An diesem Tag sei ihrem Geschäftsführer der Zwischenbericht der mit der internen Untersuchung beauftragten Rechtsanwaltskanzlei übergeben worden. Unerheblich war, ob die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erst zu laufen begann, nachdem der Mitarbeiter zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung genommen hatte. Denn mit dem Zugang der Kündigung am 28.09.2019 waren selbst gerechnet ab dem 16.09.2019 noch nicht mehr als zwei Wochen vergangen. Unerheblich war es zudem gemäß § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB für die Wahrung der Frist, ob der Leiter der Compliance-Abteilung bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hatte. Denn dieser war nicht zur Kündigung berechtigt.

Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts trugen nicht die Annahme, die Arbeitgeberin könne sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht darauf berufen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt zu haben. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Der Arbeitgeber kann sich gem. § 242 BGB nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB berufen, wenn er es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht keine Umstände festgestellt, die eine unzulässige Rechtsausübung der Arbeitgeberin begründen. Da das Bundesarbeitsgericht nicht selbst über die Wirksamkeit der Kündigung entscheiden kann, wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.05.2022

Aktenzeichen: 2 AZR 483/21