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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Kinderwunsch: Kündigung eines Kirchenmusikers wegen Überlegungen zu Leihmutterschaft im Ausland unwirksam

Kinderwunsch: Kündigung eines Kirchenmusikers wegen Überlegungen zu Leihmutterschaft im Ausland unwirksam

Erklärt ein bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig beschäftigter Kirchenmusiker, sich Pläne offenzuhalten, für sich und seinen Ehemann Kinder im Wege der Leihmutterschaft in Kolumbien austragen zu lassen, rechtfertigt dies weder eine außerordentlich fristlose Kündigung, noch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Ein bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig beschäftigter Kirchenmusiker wehrt sich mit seiner Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentlich fristlose Kündigung vom 22.03.2022, hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.10.2022. Die beklagte Landeskirche hat die Kündigung im Wesentlichen damit begründet, der Mitarbeiter habe sich Pläne offengehalten, für sich und seinen Ehemann Kinder im Wege der Leihmutterschaft in Kolumbien austragen zu lassen. Hierin liege ein erheblicher Loyalitätsverstoß, der eine weitere Zusammenarbeit auch unter Berücksichtigung der exponierten Position des Mitarbeiters als Domkantor mit bundesweitem Bekanntheitsgrad unzumutbar mache. Zudem hätten die Diskussionen um die privaten Planungen des Mitarbeiters zu Zerwürfnissen unter anderen Mitarbeitern, die in weiten Teilen eine weitere Zusammenarbeit ablehnten, geführt. Der Mitarbeiter hat dem u.a. entgegengehalten, dass zu keinem Zeitpunkt eine kommerzielle Leihmutterschaft geplant gewesen sei und dass die Landeskirche versuche, durch die Kündigung einen bloßen Gedankenprozess zu unterbinden. Ferner habe die Kirchengemeinde selbst für die Verbreitung des Sachverhalts gesorgt. Der Mitarbeiter sei in seiner Reputation und möglicherweise auch wirtschaftlich schwer geschädigt.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, erklärte sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für unwirksam und verurteilte die Landeskirche zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters als Domkantor bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wies das Arbeitsgericht zurück. Diesbezüglich hatten die Parteien im Rahmen der Verhandlung über Prozesserklärungen eine Übereinkunft getroffen, um eine (zwangsweise) Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs zu vermeiden.

Das Gericht entschied, dass ein an sich wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht gegeben ist, da in dem sanktionierten Verhalten des Mitarbeiters kein direkter Verstoß gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht gegenüber der Landeskirche liegt. Indem der Mitarbeiter gegenüber der Landeskirche erklärt hat, sich die Möglichkeit einer Leihmutterschaft offenzuhalten, hat er nicht gegen eine konkrete, aus dem Selbstverständnis der Kirche folgende Loyalitätsanforderung verstoßen. Auch überwiegt im Wege der gebotenen Abwägung der Interessen der Parteien im Einzelfall nicht das Interesse der Kirche an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dabei ist – neben dem Umstand, dass ein direkter Verstoß des Mitarbeiters gegen Loyalitätspflichten nicht erkannt werden kann – insbesondere zu berücksichtigen, dass die mit der Kündigung sanktionierte Äußerung keinen provokativen Charakter aufweist, sondern dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit unterfällt. Der bloße Abwägungsprozess des Mitarbeiters ist nicht mittels Kündigung zu sanktionieren. Ferner bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte, dass die öffentliche Verbreitung der Problematik auf einem Verhalten des Mitarbeiters beruht; hierbei ist ein erheblicher Eigenanteil der Landeskirche und ein Mitverschulden zu erkennen.

Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 15.09.2022

Aktenzeichen: 7 Ca 87/22