Mindestlohn bei „24-Stunden-Pflege zu Hause“
Eine im Rahmen einer „24-Stunden-Pflege zu Hause“ in Deutschland eingesetzte bulgarische Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Zahlung zusätzlicher Vergütung. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Betreuung der pflegebedürftigen Person 24 Stunden am Tag sichergestellt werden muss und die Pflegekraft neben ihren vergüteten Arbeitszeiten in erheblichem Umfang vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten zur Sicherstellung der Betreuung erbringen muss.
Eine bulgarische Staatsangehörige wurde auf Vermittlung einer deutschen Agentur, die mit dem Angebot „24 Stunden Pflege zu Hause“ wirbt, von ihrem in Bulgarien ansässigen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt, um eine hilfsbedürftige, über 90 Jahre alte Dame zu betreuen. Die ältere Dame lebte allein in ihrer Wohnung in einer Seniorenwohnanlage. In dem Arbeitsvertrag der Pflegekraft war eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart. In dem Betreuungsvertrag mit der zu versorgenden Dame war eine umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten und ein Betreuungsentgelt für 30 Stunden wöchentlich vereinbart. Die Pflegerin war gehalten, in der Wohnung der zu betreuenden Dame zu wohnen und zu übernachten.
Mit ihrer Klage forderte die Pflegerin Vergütung von 24 Stunden täglich für mehrere Monate. Zur Begründung führt sie aus, sie sei in dieser Zeit von 6.00 Uhr morgens bis etwa 22.00/23.00 Uhr im Einsatz gewesen und habe sich auch nachts bereithalten müssen. Sie habe deshalb für die gesamte Zeit einen Anspruch auf den Mindestlohn. Der Arbeitgeber bestritt die behaupteten Arbeitszeiten und berief sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit.
Das Landesarbeitsgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Revision der Streitparteien hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung konkret geleisteter Arbeits- und Bereitschaftszeiten an das Landesarbeitsgericht zurück. Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme sprach das Landesarbeitsgericht der Pflegerin den geforderten Mindestlohn erneut im Wesentlichen zu. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Die Pflegerin hatte Anspruch auf Zahlung zusätzlicher Vergütung. Die Betreuung der älteren, pflegebedürftigen Dame musste 24 Stunden am Tag sichergestellt werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme musste die Pflegrin neben ihren vergüteten Arbeitszeiten in erheblichem Umfang vergütungspflichtige Bereitschaftszeiten zur Sicherstellung der Betreuung erbringen. In den Zeiten, zu denen sich keine andere Person zur Betreuung in der Wohnung der älteren Dame aufgehalten hat, war die Pflegerin verpflichtet, die Betreuung für den Fall der Fälle sicherzustellen. Das Gericht ging hierbei davon aus, dass die Pflegerin die Beweislast für die erbrachten Bereitschaftszeiten trägt. Für einen kleinen Teil der eingeklagten Zahlungen wies das Gericht die Klage ab, da es hinsichtlich dieser Zeiten nach der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt war, dass die Pflegerin tatsächlich Bereitschaftszeiten geleistet hatte. Dabei handelte es sich um Zeiten, die die ältere Dame mit Familienangehörigen in ihrer Wohnung oder im Restaurant verbracht hatte.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 05.09.2022
Aktenzeichen: 21 Sa 1900/19