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Dr. Christopher von HarbouRechtsnews Berücksichtigung von Restricted Stock Units bei Karenzentschädigung für nachvertragliches Wettbewerbsverbot

Berücksichtigung von Restricted Stock Units bei Karenzentschädigung für nachvertragliches Wettbewerbsverbot

Der Begriff der „vertragsmäßigen Leistungen“ i.S.v. § 74 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB), auf deren Grundlage sich bei einem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die gesetzliche (Mindest-) Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet. Deshalb sind, soweit der Arbeitnehmer eine Vereinbarung über die Gewährung von Restricted Stock Units (RSUs – beschränkte Aktienerwerbsrechte) nicht mit seinem Arbeitgeber, sondern mit der Obergesellschaft der Unternehmensgruppe schließt, der sein Vertragsarbeitgeber angehört, die dem Arbeitnehmer seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs bzw. die ihm zugeteilten Aktien grundsätzlich nicht Teil der „vertragsmäßigen Leistungen“ i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB.

Ein Mitarbeiter war von Januar 2012 bis Januar 2020 bei einer Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Sein monatliches Grundgehalt belief sich zuletzt auf rd. 10.700 EUR brutto. Die Arbeitgeberin ist Mitglied einer Unternehmensgruppe, deren Obergesellschaft ein US-amerikanisches Unternehmen ist. Der im Dezember 2011 geschlossene Arbeitsvertrag des Mitarbeiters enthielt unter § 15 die Vereinbarung eines neunmonatigen konzernweiten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Im Gegenzug verpflichtete sich die Arbeitgeberin, an den Mitarbeiter „nach Ende der Anstellung eine Entschädigung zu zahlen, welche für jedes Jahr des Verbots die Hälfte der vom Angestellten zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht“. Ergänzend wurde die Geltung der §§ 74 ff. HGB vereinbart. Während seines Arbeitsverhältnisses partizipierte der Mitarbeiter an dem „RSU-Programm“ der Obergesellschaft und erhielt auf der Grundlage der von ihm mit dieser jeweils separat getroffenen „Global Restricted Stock Unit Award Agreements“ jährlich eine bestimmte Anzahl von RSUs.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen hielt sich der Mitarbeiter an das Wettbewerbsverbot. Dafür verlangte er von seiner ehemaligen Arbeitgeberin die Zahlung einer Karenzentschädigung unter Einrechnung der RSUs. Die Arbeitgeberin wollte die RSUs nicht miteinrechnen. Der Mitarbeiter klagte daher auf Zahlung von Karenzentschädigung in Höhe von insgesamt rund 80.000 EUR brutto nebst Zinsen. Er war weiterhin der Auffassung, ihm stehe für die Karenzzeit – über den von der Arbeitgeberin bereits gezahlten –  eine weitere Karenzentschädigung i.H.v. rd. 8.900 EUR brutto mtl. zu. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung seien auch die ihm gewährten RSUs zu berücksichtigen. Darauf, wer Schuldner dieser Leistungen sei, könne es schon in Anbetracht der Möglichkeit der Einflussnahme der Obergesellschaft auf die Vertragsbedingungen im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht ankommen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage im noch streitgegenständlichen Umfang ab. Die Revision des Mitarbeiters hatte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.

Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hatte, hat der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Karenzentschädigung. Ein solcher Anspruch hätte sich nur unter Berücksichtigung der dem Mitarbeiter seitens der Obergesellschaft gewährten RSUs ergeben können. Bei diesen handelte es sich jedoch nicht um „vertragsmäßige Leistungen“ im Sinne der unter § 15 des Arbeitsvertrags über die Höhe der Karenzentschädigung getroffenen Vereinbarung. Diese Vereinbarung greift den Wortlaut von § 74 Abs. 2 HGB auf und ist mithin dahin zu verstehen, dass die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter eine Karenzentschädigung in Höhe der gesetzlichen Mindestentschädigung zugesagt hat. Für die Auslegung des Begriffs der „vertragsmäßigen Leistungen“ in § 15 des Arbeitsvertrags gilt demnach nichts anderes als für die Auslegung des entsprechenden Rechtsbegriffs in § 74 Abs. 2 HGB. Der Begriff der „vertragsmäßigen Leistungen“ i.S.v. § 74 Abs. 2 HGB, auf deren Grundlage sich bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots die gesetzliche (Mindest-)Karenzentschädigung berechnet, umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet.

Da der Mitarbeiter die jeweiligen „Global Restricted Stock Unit Award Agreements“, also die Vereinbarungen über die Gewährung der RSUs, nicht mit der Arbeitgeberin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen, sondern mit der Obergesellschaft getroffen hatte, setzte die Berücksichtigung der RSUs bei der Berechnung der Karenzentschädigung zumindest voraus, dass die Arbeitgeberin im Hinblick auf die Gewährung dieser RSUs – ausdrücklich oder konkludent – eine (Mit-)Verpflichtung übernommen hatte. Die Arbeitgeberin war jedoch, wie das Landesarbeitsgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerfrei angenommen hattw, weder ausdrücklich noch konkludent eine solche (Mit-)Verpflichtung eingegangen. Eine andere Bewertung war auch nicht deshalb geboten, weil die Parteien in § 15 des Arbeitsvertrags ein „konzernweites“ Wettbewerbsverbot vereinbart hatten. Selbst wenn die Wettbewerbsabrede hinsichtlich ihres vereinbarten Konzernbezugs nicht dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen der Arbeitgeberin gedient haben sollte, hätte dies nach § 74a Abs. 1 HGB „nur“ eine Rückführung der dem Mitarbeiter auferlegten Beschränkungen auf die zulässige Reichweite des Verbots bewirkt, nicht aber dazu geführt, dass der Mitarbeiter, soweit er sich auch des Wettbewerbs insbesondere im Geschäftsbereich der Obergesellschaft enthalten hat, eine Karenzentschädigung unter Berücksichtigung der RSUs verlangen könnte.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.08.2022

Aktenzeichen: 8 AZR 453/21