Auch krankheitsbedingte Kündigungen sind Massenentlassungen
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters am 27.11.2020 zum 30.04.2021. Insgesamt sprach sie im Zeitraum vom 25.11.2020 bis zum 22.12.2020 34 Kündigungen aus krankheitsbedingten Gründen aus. Eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstattete die Arbeitgeberin nicht. Mit Schreiben vom 22.01.2021 kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters erneut zum 30.06.2021.
Der Mitarbeiter hielt beide Kündigungen für unwirksam und klage jeweils beim Arbeitsgericht gegen die Kündigungen. Er meinte, dass es hinsichtlich der ersten Kündigung bereits an einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit gemäß § 17 KSchG fehle. Außerdem seien seine Erkrankungen vollständig ausgeheilt. Die Arbeitgeberin hielt eine Massenentlassungsanzeige bei krankheitsbedingten Kündigungen nicht für erforderlich. Die überdurchschnittlichen Fehlzeiten des Mitarbeiters indizierten eine negative Gesundheitsprognose. Dessen Ausfallzeiten hätten zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und Störungen im Betriebsablauf geführt.
Das Gericht gab dem Arbeitnehmer Recht und erklärte beide Kündigungen für unwirksam. Die erste Kündigung scheiterte bereits an der fehlenden Massenentlassungsanzeige. Nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck von § 17 KSchG besteht die Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen. Die ausdrückliche Anregung im Gesetzgebungsverfahrens, personen- und verhaltensbedingte Entlassungen von der Anzeigepflicht auszunehmen, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen.
Unabhängig davon sind beide Kündigungen unwirksam, weil sie nicht die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Anforderungen für krankheitsbedingten Kündigungen aufgrund häufiger Kurzzeiterkrankungen erfüllen. Die konkreten Krankheitszeiten, die in 2020 wieder abfallen, begründeten nicht die notwendige negative Gesundheitsprognose. Der Arbeitgeberin unzumutbare wirtschaftliche Belastungen lagen nicht vor. Diese musste nur in einem Jahr Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 42 Tagen aufwenden. Die aufgrund von krankheitsbedingten Ausfällen auch kurzfristig erforderliche Anpassung des Dienstplans allein begründete keine erhebliche Betriebsablaufstörung. Es handelte sich um eine Maßnahme, die jedem krankheitsbedingten Arbeitsausfall immanent ist.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.10.2021
Aktenzeichen: 7 Sa 405/21
Hinweis: Das LAG Düsseldorf hat in einem weitgehend parallel gelagerten Fall der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers ebenfalls stattgegeben (Urteil vom 15.10.2021, Az. 7 Sa 406/21). Es sind zudem weitere zumindest teilweise parallel gelagerte Kündigungsschutzverfahren beim LAG Düsseldorf anhängig.