Arbeitsverweigerung aus Sorge vor Corona-Infektion
Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, um die Urlaubsreise zur Familie im Ausland nicht durch eine Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus zu gefährden, kann die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen.
Ein 36-jähriger Mitarbeiter war seit dreieinhalb Jahren als Web-Entwickler bei einem Unternehmen beschäftigt, das flexible webbasierte Applikationen entwickelt. Der Mitarbeiter war allein zuständig für den Aufgabenbereich der Betreuung der Produktivsysteme. Im März 2020 hatte der Mitarbeiter dem Geschäftsführer des Unternehmens im Zuge der Corona-Pandemie mitgeteilt, dass er ein sog. Risikopatient sei. Anschließend übte der Mitarbeiter seine Tätigkeit – wie die meisten seiner Kollegen – im Homeoffice aus.
Am 06.11.2020 bot der Geschäftsführer dem Mitarbeiter eine veränderte Position mit Gehaltserhöhung sowie die Neueinstellung von zwei neuen Arbeitskräften für den bisher von ihm behandelten Bereich an. Am 17.11.2020 beantragte der Mitarbeiter einen fünfwöchigen Erholungsurlaub, damit er seine Familie im Ausland besuchen könne. Der Arbeitgeber genehmigte den Erholungsurlaub und wies den Mitarbeiter darüber hinaus an, die zwei für die bisherige Tätigkeit des Mitarbeiters neu eingestellten Kollegen in den ersten beiden Dezemberwochen bis zu seinem Urlaubsbeginn vor Ort im Betrieb einzuarbeiten. Der Mitarbeiter arbeitete die beiden neuen Kollegen am 01.12. und am 04.12.2020 im Betrieb ein. Jedenfalls am 04.12.2020 erfolgte die Einarbeitung in einem 40 m² großen Besprechungsraum unter Einhaltung der üblichen Abstandsregeln. Gegen Mittag erklärte der Mitarbeiter gegenüber dem Geschäftsführer, dass er jetzt seine Einarbeitungstätigkeit beenden würde, da diese abgeschlossen sei. Nach Rücksprache des Geschäftsführers mit den beiden einzuarbeitenden Kollegen, die diesem erläuterten, dass die Einarbeitung bei weitem noch nicht abgeschlossen sei, wies der Geschäftsführer den Mitarbeiter an, die Einarbeitung vor Ort in den Betriebsräumlichkeiten bis zum Urlaubsbeginn fortzusetzen. Dies verweigerte der Mitarbeiter explizit gegenüber dem Geschäftsführer. Er verließ das Betriebsgebäude ca. um 13:00 Uhr und teile mit, dass er auch in den folgenden Tagen bis zum Beginn des Urlaubs nicht mehr in den Betrieb kommen werde. Tatsächlich erschien der Mitarbeiter am Montag, den 07.12.2020, nicht im Betriebsgebäude. Daraufhin schrieb der Geschäftsführer den Mitarbeiter an und fordert ihn auf, die Einarbeitungstätigkeiten in den Betriebsräumlichkeiten fortzusetzen. Der Mitarbeiter teilte dem Geschäftsführer daraufhin mit, dass er die Mitarbeiter bereits am 01.12. und 04.12.2020 persönlich in der Firma trainiert habe und er nicht mehr in die Firma kommen müsse, da seine Arbeit erledigt sei. Er teilte ferner mit, dass er wegen Corona nicht persönlich zur Arbeit gehen wolle, da seine Urlaubsreise in sein Heimatland bereits geplant sei, und er nicht das Risiko eingehen wollen, sich in der Firma noch zu infizieren. Daraufhin fragte der Geschäftsführer den Mitarbeiter an, ob dies seine endgültige Entscheidung sei, was der Mitarbeiter bejahte. Kurz wurden alle Zugänge des Mitarbeiters zum Kommunikationssystem des Unternehmens gelöscht und noch am gleichen Tag erhielt der Mitarbeiter die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Mitarbeiter klagte gegen die Kündigung.
Das Gericht gab dem Arbeitgeber Recht und erklärte die außerordentliche Kündigung für wirksam. Der Mitarbeiter hatte seine Arbeitsleistung beharrlich verweigert, was ein anerkannter Grund zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist. Die Weisung des Arbeitgebers gegenüber dem sich selbst als Risikopatienten bezeichnenden Arbeitnehmer, die Einarbeitung von zwei neuen Mitarbeitern vor Ort unter Einhaltung der Hygieneregeln im Betrieb vorzunehmen, entsprach auch in Zeiten der Corona-Pandemie im konkreten Fall billigem Ermessen i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB. Die beharrliche Weigerung des Mitarbeiters, die Arbeit vor Ort im Betrieb zu erbringen, um die Urlaubsreise zu seiner Familie ins Ausland nicht durch eine Ansteckung mit dem Sars-CoV-2-Virus zu gefährden, begründete im konkreten Fall eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB.
Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 11.03.2021
Aktenzeichen: 6 Ca 1912 c/20