Europäisches Parlament fordert ein Recht auf Nichterreichbarkeit für Arbeitnehmer
Kommission soll EU-weite Gesetze auf den Weg bringen
Konkret beklagen die Abgeordneten, dass es derzeit keine explizite Rechtsvorschrift der EU zur Nichterreichbarkeit außerhalb regulärer Arbeitszeiten von Arbeitnehmern gibt. Berichterstatter Alex Agius Saliba (S&D, MT) fordert die Europäische Kommission daher in dem legislativen Initiativbericht auf, einen entsprechenden Gesetzesrahmen zu schaffen, der in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten implementiert werden soll.
Nach eingehender Zusammenarbeit mit und Bewertung der Situation in allen EU-Staaten sollte eine Richtlinie erarbeitet werden, die den Einsatz digitaler Arbeitsgeräte tarifvertraglich regeln soll. Das Recht auf Nichterreichbarkeit solle in Zeiten fortgeschrittener Digitalisierung und daraus resultierenden veränderten Arbeitsbedingungen als „wichtiges sozialpolitisches Instrument auf Unionsebene betrachtet werden“, heißt es in dem Bericht.
Immer online, immer erreichbar
Digitalisierung und technologischer Fortschritt haben unser (Berufs-) Leben in den letzten zwei Jahrzehnten maßgeblich verändert. Allerdings haben Smartphones und Co nicht nur eine schnellere und einfachere Kommunikation ermöglicht. Die intensive Nutzung digitaler Geräte führt für viele Arbeitnehmer zu einer Art konstanter „Rufbereitschaft“ – und zwar fernab geregelter Arbeitszeiten.
Daher bergen digitale Arbeitswerkzeuge auch erhebliche Nachteile: Durch die erwartete ständige Erreichbarkeit können sich Arbeitszeiten verlängern. Grenzen von Berufs- und Privatleben drohen zu verschwimmen.
Home Office kann sich negativ auf Work-Life-Balance auswirken
Impulse für die Initiative gab auch die Zunahme der Telearbeit während des Kampfs gegen die Corona-Pandemie. Einer aktuellen Umfrage der Europäischen Stiftung Eurofound zur Folge arbeiten seit dem Ausbruch der Pandemie rund ein Drittel aller Europäer von zu Hause aus. Das Wohnzimmer wird zum Büro – doch das Home Office auch pünktlich zu „verlassen“ fällt schwer. 27% der zu Hause tätigen Befragten gaben demnach an, auch in ihrer Freizeit zu arbeiten, um den Anforderungen ihres Jobs gerecht zu werden. Vor Arbeitsbeginn wird dann schon mal eine E-Mail verschickt oder nach Feierabend noch ein Anruf angenommen.
Telearbeit – komfortabel oder ungesund?
Grenzen im Home-Office zu ziehen sei wichtig, um die psychische und physische Gesundheit von Arbeitnehmern zu schützen, betont daher der Bericht des Beschäftigungsausschusses. Zwar habe digitales Arbeiten vielerlei Vorteile, wie zum Beispiel eine erhöhte Flexibilität oder kürzere Pendelzeiten, jedoch seien die Risiken der Telearbeit für Körper und Geist nicht zu unterschätzen.
Schlafmangel, emotionale Erschöpfung, Burn-out, Muskelverspannungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats – die Liste der möglichen Folgen bei zu langer Nutzung digitaler Geräte ist lang. Nach Ende der Arbeitszeit sollte die Devise für Arbeitnehmer daher lauten: abschalten. Eine europaweite Regelung könnte helfen, dass das mit gutem Gewissen und ohne Angst vor negativen Folgen möglich ist.
Sollte das Plenum des Parlaments am 20.1.2021 für die legislative Initiative stimmen, muss die EU-Kommission einen entsprechenden Rechtsakt vorlegen oder begründen, warum sie den Forderungen des Parlaments nicht nachkommt. Diese scheint einem neuen Recht auf Nichterreichbarkeit nicht abgeneigt zu sein. Nicolas Schmit, Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, betonte bereits Anfang 2020: „Das Recht abzuschalten, ist etwas ganz Normales, denn wir sind keine Roboter.“