Probezeit ist nicht Wartezeit
Es gehört zu den weit verbreiteten Irrtümern, dass man mit einem Arbeitsvertrag, in dem keine Probezeit geregelt ist, besonders stark gegen Kündigung geschützt ist. Diesem Irrtum unterlag auch eine Mitarbeiterin, die bei einem Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern in Stuttgart zunächst als Leiharbeitnehmerin eingesetzt und anschließend nahtlos in eine Anstellung übernommen worden war. Die Personalleiterin des Unternehmens hatte der Mitarbeiterin im Vorfeld der Übernahme mitgeteilt, dass man mit ihr sehr zufrieden sei und sie gerne übernehmen wolle. Auch wurde ihr zugesagt, dass sie einen Arbeitsvertrag ohne Probezeit erhalte, da man sie ja schon kenne und nicht vorhabe, ihr zu kündigen. Besagte Mitarbeiterin wurde also zum 01.06.2017 in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Im Arbeitsvertrag stand: „Es wird keine Probezeit vereinbart“. Außerdem war eine dreimonatige Kündigungsfrist vorgesehen.
Es kam dann, wie es kommen musste. Die Zusammenarbeit lief nicht wirklich rund und Ende November 2017 erhielt die Mitarbeiterin die ordentliche Kündigung unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist mit Wirkung zum 28.02.2018. Dies wollte die Mitarbeiterin nicht akzeptieren und sie klagte gegen die Kündigung. Aufgrund der Äußerungen der Personalleiterin und der nicht vereinbarten Probezeit hatte sie sich sicher gefühlt und war von der Kündigung böse überrascht worden. Ihrer Meinung nach hatte der Arbeitgeber keinen Rechtfertigungsgrund für die Kündigung gehabt, so dass sie ihre Weiterbeschäftigung oder zumindest eine Abfindung verlangen könne.
Das Arbeitsgericht und auch das Berufungsgericht sahen dies anders. Sie erklärten die Kündigung für wirksam. Ein Arbeitgeber muss eine ordentliche Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn das Arbeitsverhältnis schon länger als sechs Monate besteht. Erst dann ist nämlich die sog. Wartezeit erfüllt und es greift der Schutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ein. Dieses Gesetz besagt, dass eine ordentliche Kündigung nach bestandener Wartezeit in Betrieben mit mehr als 10 Arbeitnehmern nur wirksam ist, wenn sie vom Arbeitgeber sozial gerechtfertigt werden kann. Gerechtfertigt ist eine Kündigung u.a. bei wiederholter Pflichtverletzung eines Mitarbeiters nach vorangegangener Abmahnung oder aber aus betrieblichen Gründen bei Wegfall des Beschäftigungsbedarfs und unter Beachtung der Regeln der Sozialauswahl.
Wenn das Arbeitsverhältnis hingegen noch keine sechs Monate besteht (die sog. Wartezeit bis zum Eingreifen des gesetzlichen Kündigungschutzes also noch nicht abgelaufen ist), muss eine ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt werden. Es reicht vielmehr jeder irgendwie einleuchtende Grund zur Kündigung.
Die gekündigte Mitarbeiterin hatte nun „Probezeit“ mit „Wartezeit“ verwechselt. Wenn im Arbeitsvertrag eine Probezeit vereinbart ist, dann bedeutet das nur, dass in den erstens sechs Monaten der Anstellung beiderseits mit einer stark verkürzten Frist von zwei Wochen gekündigt werden kann. Ist hingegen, wie hier, explizit keine Probezeit vereinbart, dann muss die normale gesetzliche oder die arbeitsvertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist eingehalten werden. Die Nichtregelung einer Probezeit bedeutet aber nicht etwa, dass der Mitarbeiter bereits in den ersten sechs Monaten der Anstellung vor einer Kündigung geschützt ist. Sprich: der Arbeitgeber kann ohne Rechtfertigungsgrund kündigen, muss aber die reguläre Kündigungsfrist einhalten. Dies hatte der Arbeitgeber hier getan, indem er das Arbeitsverhältnis mit der im Arbeitsvertrag vereinbarten dreimonatigen Frist zum Ende Februar 2018 gekündigt hatte. Den gesetzlichen Schutz vor Kündigung hätte die Mitarbeiterin erst ab dem 01.12.2017 gehabt. Eine vorangegangene Einsatzzeit als Leiharbeitnehmer wird nicht auf die sechsmonatige Wartezeit angerechnet.
Eine echte Absicherung gegen Kündigung hätte die Mitarbeiterin in den ersten sechs Monaten ihrer Anstellung nur gehabt, wenn der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag auf die „Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes“ verzichtet hätte. Ob dies im Rahmen der Übernahme verhandelbar gewesen wäre, ist freilich eine andere Frage.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 18.06.2019, Az. 15 Sa 4/19